Friday, October 9, 2015

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Ludwig Wittgenstein hat Gottlob Frege sein Leben lang als profunden Denker und auch als Mensch geschätzt. Vgl. Erich Recks Aufsatz »Wittgenstein’s „great debt“ to Frege« in From Frege to Wittgenstein: Perspectives of Early Analytic Philosophy, Erich H. Reck, ed.; Oxford University Press; New York; 2002 oder auch Cora Diamonds Beitrag „Inheriting from Frege: the work of reception, as Wittgenstein did it“ zu The Cambridge Companion de Frege, Michael Potter and Tom Ricketts, ed.; Cambridge University Press; Cambridge;  2010, in dem sie eine Parallele sieht zwischen der Art, in der Frege den genialen Philosophen Immanuel Kant kritisch diskutiert, und Wittgensteins kritische Behandlung Freges im Tractatus, der zu einem viel größeren Teil direkt von den Diskussionen mit Frege inspiriert ist, als gemeinhin angenommen wird, wenn man den Tractatus im Wesentlichen als Weiterentwicklung des Logizismus von Russell und als Verwerfung der Thesen Freges sehen will. Wittgenstein, ganz anders ans Baker & Hacker, zum Beispiel (Logical Excavations), die in Frege einen halben Mathematiker und einen halben Philosophen sehen, also niemanden, den man wirklich ernst nehmen muss, und im Unterschied zu den Zeitgenossen Freges, die seine Revolution der Logik kaum wahrgenommen haben, hat Wittgenstein die philosophische Tiefe des Logikers aus Wismar zum Kompass seiner eigenen philosophischen Suche gemacht.

Schon Hans Sluga hat darauf hingewiesen („Truth before Tarski“ in Alfred Tarski and the Vienna Circle, J. Wolenski & E. Köhler, eds.; Kluver; Dordrecht; 1999),  dass wir den Fortschritt in unserer formalen Beherrschung der Wahrheit damit erkauft haben, dass „uns einige der tiefsten Einsichten in Bezug auf das philosophische Problem der Wahrheit entschlüpft sind.“ (zitiert nach Cora Diamond: „Truth before Tarski“ in Erich Reck ed., op.cit.); in etwa die selbe Richtung zielen auch Arbeiten von van Heijenoort, Hintikka, Ricketts, Goldfarb, Conant, Haaparante, Weiner, u.v.a.m. 

Meine nächsten Beiträge werden wohl zunächst in der Hauptsache Berichte sein über die Sichtweise, die diese und andere Autoren über die Rezeption Freges durch Wittgenstein und inwieweit eine Revision dieses Aspekts der Geschichte der (analytischen) Philosophie auch eine neue Diskussion des Tractatus selber notwendig macht. Im Zuge dieser Betrachtung werden wir sicher auch über Conants Unterscheidung zwischen „standard“ oder „orthodoxen“ einerseits und „resoluten“ Wittgensteinlesern andererseits nachdenken.


Ich denke, damit haben wir zunächst ein recht dichtes Programm.