Tuesday, May 31, 2016

DE 0023 Sprache und Denken. Zusammenfassung (ii)

# DE 0023

Ich will ein paar Worte zum ersten Punkt des letzten Kommentars verlieren. Ich habe in dieser ganzen Serie mehr oder weniger so getan, als stünden sich in der Frage um den Zusammenhang von Denken und Sprache die folgenden zwei Haltungen gegenüber: auf der einen Seite der Kontroverse steht demnach eine Gruppe von Theoretikern, die die Sprache als Ausdruck von Gedanken verstehen, wobei die Gedanken hauptsächlich als Produkt der Aktivität unseres Zentralnervensystems gesehen werden, die möglicherweise ein von der Sprache unabhängiges Medium darstellen, das manchmal Mentalese genannt wird - mir fällt kein deutscher Ausdruck dafür ein. Auf der anderen Seite haben wir einen von Wittgenstein beeinflussten Gesichtspunkt, der auf dem Standpunkt steht, dass der Frage, ob Gedanken sprachliche Konstrukte sind, und es in diesem Sinn ohne Sprache keine Gedanken geben könne, ein ungeeignetes Bild zugrunde liegt, und dass der Versuch eine semantische Theorie aufzustellen, die den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken in diesem Sinn zu klären versucht, aus diesem Grund zum Scheitern verurteilt ist: Die Frage macht so keinen Sinn. Die Einzelheiten dieser Diskussion haben uns nun eine Zeit lang in Atem gehalten.

Es ist nun aber so, dass in gewisser Weise das ganze XX. Jahrhundert von philosophischen Reflexionen um die Rolle der Sprache in unserem Leben (in unserem Denken, Wissen, Forschen, usw.) geprägt war, so sehr, dass man von einer "sprachlichen Wende" in der Philosophie spricht, die häufig mit dem philosophischen Werk von Gottlob Frege, Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein identifiziert wird, aus dem dann wenigstens ein wichtiger Aspekt der analytischen Philosophie hervorgegangen ist. Das Herangehen der analytischen Philosophie an die Frage über den Zusammenhang von Denken, Sprache und Wirklichkeit ist aber von völlig anderen Gesichtspunkten geleitet, als die Theorien der Geistesphilosophie, die wir im vorigen Absatz karikiert haben. Die Antworten, die im Rahmen der analytischen Philosophie auf diese Fragengruppe vorgeschlagen werden, unterscheiden sich sehr untereinander. So sehr, dass auch die Frage berechtigt ist, ob das Herangehen an die sprachtheoretischen Fragen in der Lage ist, die analytische Philosophie als solche zu charakterisieren.

Ungefähr gleichzeitig mit den Wurzeln der analytischen Philosophie ist auch die Phänomenologie entstanden (Dummett schließt das Werk ihres Begründers, Edmund Husserl, als eine der "kontinentalen" Wurzeln in die Ursprünge der analytischen Philosophie ein), aus der schließlich die Hermeneutik hervorgegangen ist, die ebenfalls um die Frage der Rolle der Sprache in unserem Leben kreist, und deren Herangehen weder mit der Geistesphilosophie (in obigem Sinn) noch mit der analytischen Philosophie in Einklang zu bringen ist.

Ich erwähne das alles um den Eindruck zu vermeiden, dass wir in unserer Diskussion hier die Frage wenigstens in ihren wichtigsten Aspekten ausreichend behandelt haben. Das haben wir natürlich nicht - mehr als 100 Jahre Sprachphilosophie können wir nicht in ein paar Kommentaren erledigen. Ich hoffe aber, wir haben wenigstens Verständnis für die Komplikationen der Frage geschaffen, und dass einige unserer Vorurteile, die uns ein bestimmtes Bild des Zusammenhangs zwischen Sprache und Denken aufdrängen, uns daran hindern die richtigen Fragen zu stellen, und deshalb besser aufgegeben werden sollten.

Sunday, May 29, 2016

DE 0022 Sprache und Denken. Zusammenfassung (i)

# DE 0022

Übersehene Themen und eine Arte Zusammenfassung (i)

1. Andere Theorien
Wovon wir ausgegangen sind, ist keine Theorie, sondern ein vages Gefühl. Es gibt aber mehr Möglichkeiten dieses vage Gefühl in Theorien zu gießen, als man aus meiner bisherigen Darstellung schließen könnte. Wir werden einige dieser anderen Möglichkeiten ganz kurz zu beschreiben versuchen.

2. Denken ist eine Fähigkeit, die wir mit Tieren teilen, die kein (so komplexes) Sprachverhalten haben wie wir (aus # DE 0003).

Schnelle Antwort: Auch wenn man das so sieht, es steht nicht in Widerspruch zu der Auffassung, dass das (komplexe) menschliche Denken ohne das (komplexe) menschliche Verhalten, in dem die Sprache eine wesentliche Rolle spielt, unmöglich wäre - es fehlte der Untergrund dafür: Man kann kein Ölbild in der Luft malen.

Instinktives Verhalten bei Tieren mag instinktivem Verhalten beim Menschen entsprechen - und wir kontrastieren es manchmal mit denkendem Verhalten.

Wir haben wenigstens einige Aspekte dieses Punktes im Laufe der Diskussion ausführlicher ab # DE 0006 behandelt, und ich vertraue mal darauf, dass die schnelle Antwort hier genügt.

3. Bedeutung: Ich habe in # DE 0004 behauptet, dass es ein Irrtum ist blindlings davon auszugehen, dass Wörter oder sonstigen Ausdrücke in unserer Sprache deshalb funktionieren, weil sie Zeichen für etwas außerhalb der Sprache, für etwas in der Realität sind; im konkreten Falle, dass die Bedeutung von 'Weinflasche' eine konkrete (oder vielleicht eine ideale) Weinflasche ist, die Bedeutung von 'entkorken' das Herausziehen eines Korkens vielleicht aus dieser konkreten (oder idealen) Weinflasche; und dass es deshalb ein Fehler ist, blindlings davon auszugehen, dass 'denken' ein Zeitwort ist, das ähnlich funktioniert wie zum Beispiel das Zeitwort 'laufen', so nämlich, dass es wie dieses eine bestimmte physische oder vielleicht geistige Aktivität bedeutet, und wir für die weitere Behandlung unserer Frage unproblematisch von dieser Voraussetzung ausgehen können.

Wir haben einige Andeutungen zum Thema gemacht, aber vielleicht muss es noch gründlicher behandelt werden, um eventuell meinte Hypothek aus DE # 0005 zu entlasten.

4. Wir haben in der Folge von DE # 0007 den Einwand nicht ausdrücklich behandelt, dass es falsch wäre zu behaupten, ohne sprachlichen Inhalte gäbe es kein Denken: wir haben jedoch im Zuge der Darstellung gesehen, dass wir ganz im Gegenteil vorschlagen, dass weder das Denken von Sprechen, noch das Sprechen von Denken "begleitet" ist. Denken ist ausdrücklich kein stilles zu sich selber Sprechen, und wenn ich spreche, denn denke ich nicht still den Satz, den ich sage, dazu.

5. Ich habe in DE # 0011 kurz die Frage der künstlichen Intelligenz gestreift, ohne wieder darauf zurückzukommen. Ich habe nicht vor, das Thema erschöpfend zu behandeln - aber im Rahmen der gegenwärtigen Diskussion um den Zusammenhang von Sprache und Denken können wir feststellen, dass die Art der Frage, wie sie etwa Daniel Dennett in den 90-iger Jahren aufwirft, auf einem Missverständnis beruht. Damit ist die Frage aber nicht erledigt, wenn wir zuerst zum Beispiel klären, was denn "künstliche Intelligenz" als Zielvorstellung einer technologischen Entwicklung wohl bedeuten könnte. Das würde aber ganz deutlich unsere gegenwärtige Fragestellung übersteigen.

Als nächstes wollen wir ein paar Worte zum Punkt 1 sagen. Punkt 3 braucht auch noch eine ausführlichere Behandlung um unser Thema abzuschließen, auch wenn es keine großen Überraschungen mehr geben wird. Punkt 5 erlaubt uns vielleicht einige Gesichtspunkte unserer Diskussion deutlicher herauszustellen. Und dann können wir die Diskussion eventuell in der versuchen mit einer Zusammenfassung der Fragen und der vorgeschlagenen Antworten abzuschließen.

Friday, May 27, 2016

DE 0021 Sprache und Denken

# DE 0021

Wir stellten im Beitrag DE 0019 fest, dass wir den Begriff der Farbe brauchen, wenn wir ein Farbenwort wie 'rot' richtig verwenden wollen. Ich will nun versuchen das ein bisschen mit Überlegungen zu untermauern, die um den Begriff 'Begriff' kreisen.

Bennett und Hacker (2003, 339) stellen zunächst einmal fest, dass Begriffe weder geistige Bilder sind, noch die Fähigkeit, geistige Bilder zu haben, noch Konstruktionen des Zentralnervensystems, die die eigenen Reaktionen zuordnen - wie Edelmann und Tononi vorschlagen, sondern Abstraktionen von der Verwendung eines Wortes. So teilen deutsche, englische, französische Sprecher einen Begriff, wenn sie in ihrer jeweiligen Sprache 'Schnee', 'snow', 'neige' bzw. 'nieve' richtig verwenden. Statt 'Abstraktion', denke ich, könnte man auch 'Verallgemeinerung' sagen, dann wird der Zusammenhang mit der Verwendung des Wortes deutlicher und es wird leichter zu sehen, dass die Gleichheit des Begriffes von diesen verschiedenen Sprechern nicht davon abhängt, dass sie alle das gleiche Bild eines weißen kalten Pulvers vor ihrem inneren Auge erzeugen (können), wenn sie an Schnee denken (ein Mann in französisch Guayana muss überhaupt keinen bildlichen oder sonstigen Sinneseindruck, etwa seine Kälte, von Schnee haben, um einen Begriff davon zu haben). Wie ist das mit einem Wort wie 'Schulden'? Aufgrund der Beschreibung der Situation 'Kärnten schuldet bundesweit den Steuerzahlern 15 Milliarden Euro' und 'Helga schuldet ihrem Friseur das Honorar für die Schönheitsbehandlung vom letzten Freitag' lässt sich allgemein feststellen, dass ich das Wort 'schulden' unabhängig von der konkreten Situation richtig verstehe und verwenden kann. Ich hätte keine Ahnung, was da ein gemeinsames Bild sein könnte. Bennett und Hacker sagen dazu:

Für eine gewisse Art von Begriffen (aber nicht für alle) hat jemand, der einen Begriff B hat, die Fähigkeit Fälle zu erkennen, die unter ihn fallen; Dinge zu unterscheiden, die B sind, von solchen, die dies nicht sind. Wenn B zu sein die Folge hat, C zu sein aber nicht D, dann ist es ein Kriterium dafür, dass jemand den Begriff B nicht beherrscht, wenn er ihn einem Gegenstand zuschreibt und zugleich leugnet, dass der Gegenstand C ist oder behauptet, er wäre D. (340)

Es genügt nicht rot von blau zu unterscheiden, sondern man muss wissen, wie man das Wort 'rot' in den verschiedensten Umständen richtig verwendet: Ausgedehnte Gegenstände können rot sein, Gerüche nicht, und auch nicht, wie mir das Schmalzbrot schmeckt. Eine Oberfläche, die ganz rot ist, kann nicht gleichzeitig ganz blau sind, und so weiter (Bennett und Hacker, 2003, 340-341).

Das ist so, wie wir ungefähr ja schon gesehen, haben, weil unser Zusammenleben zu komplex ist, als dass das bloße Wiedererkennen für die Zuschreibung von Begriffen genügen würde; auch wenn ein Hund andere Hunde von Katzen unterscheiden kann, hat er in unserem normal Sinn von 'Begriff' den Begriff 'Hund' und 'Katze' nicht. Wir könnten den Begriff 'Begriff' so verdünnen, stellen Bennett und Hacker fest, dass wir auch Hunden den Besitz von Begriffen zuschreiben könnten. Aber es ist schwer einzusehen, welchen Vorteil das hätte. Klarer wird dadurch nichts, und Entdeckung ist das schon gar keine.

* * *

Wir haben im Prinzip auch schon ziemlich zu Anfang festgestellt, dass wir nicht wortlose Gedanken übersetzen, wenn wir sprechen. Wir verwenden allerdings häufig Ausdrücke, die suggerieren, dass sich das Denken in einem bestimmten Medium abspielt, aus dem dann eben in die hörbare Sprache übersetzt wird. Ich selber sage zum Beispiel recht häufig, dass ich auf deutsch oder spanisch oder englisch denke, wenn ich in meinem Notizbuch eine Eintragung in einer dieser Sprachen mache. Was ich damit allerdings meine, ist nicht, dass ich einen Satz zuerst in einer dieser Sprachen denke, bevor ich ihn laut ausspreche oder niederschreibe; eher im Gegenteil. Ich "denke auf spanisch", weil ich nicht erst einen deutschen Ausdruck mühsam ins spanische übersetzen muss, sondern ich sage oder schreibe einfach auf spanisch, was ich sagen will. Das ist alles, was damit gemeint ist. Natürlich suche ich manchmal einen spanischen Ausdruck, für den mir zuerst der deutsche einfällt, oder umgekehrt. Aber das ist nicht anders, als wenn mir ein deutscher Ausdruck nicht einfällt, und ich sage "ich habe ihn auf der Zungenspitze - warte mal; er kommt gleich." Hier fehlt mir einfach ein Ausdruck - es wird nichts übersetzt.

* * *

Wahrscheinlich haben wir noch einige lose Enden übrig gelassen. Ich werde nächstens versuchen, diese aufzugreifen, und dann können wir vielleicht bald einmal daran denken, unsere ursprüngliche Frage als ausreichend behandelt anzusehen.

Wednesday, May 25, 2016

DE 0020 Sprache und Denken

# DE 0020

Es war ein Fortschritt, dass uns klar geworden ist, dass wir von der Farbe auf dem Auto reden, wenn wir sagen, das Auto sei blau oder rot, und nicht etwa von dem Farberlebnis, das ich dabei in meinem Geist oder in meiner Seele habe, und das vielleicht für jeden von uns ganz verschieden ist (vielleicht sogar so, dass der Farbeindruck, den ich vom roten Auto habe, der gleiche ist, den Du hast, wenn Du ein blaues Auto siehst) [Vgl. Philosophische Untersuchungen 272 - 280. Gegen Ende dieser Folge von Kommentaren heißt es:

278. "Ich weiß, wie mir die Farbe Grün erscheint" - nun, das hat doch Sinn! - Gewiss; welche Verwendung des Satzes denkst du dir?
279. Denke dir einen, der sagte: "Ich weiß doch, wie hoch ich bin!" und dabei die Hand als Zeichen auf seinen Scheitel legt!]

Die "privaten Farbeindrücke" - könnten sie spezielle Namen erhalten, die sie von den öffentlichen Farben unterscheiden? [PU 273] z.B. 'rot' ist die Farbe auf dem Auto, und 'rot*' der Eindruck den ich davon habe, oder die 'Qualia', wie das seit dem letzten Viertel des XX Jahrhunderts begeistert von einigen Anhängern der Neurophilosophie genannt wird. Bennett und Hacker widmen auch diesem Thema einen erheblichen Teil von PFN, aber wir lassen es, jedenfalls vorläufig, damit bewenden, dass wir von der Farbe des Autos reden, wenn wir 'rot' sagen, und nicht von einem privaten Erlebnis.

* * * * *

Es gibt aber nun noch einen Einwand gegen den Vorschlag, dass wir den Begriff der Farbe brauchen um Wörter wie ´rot´ oder 'blau' zu verstehen:

"Ich muss doch wissen, ob ich von der Farbe rede, wenn ich ein Auto rot oder blaue nenne, und nicht von seiner Bereifung oder der Anzahl der Türen. Ganz unabhängig von meiner Beherrschung von Begriffen wie 'Farbe'." Damit hängt vielleicht auch zusammen: "Ich weiß doch, was ich meine, auch wenn ich mich im Ausdruck irre. Es kommt doch vor, dass ich ´Hallo Karl' sage, aber 'Hallo Peter' meine. Das ist kein Hindernis für mich zu wissen, dass ich von Anfang an Peter gemeint habe, und nicht Karl, auch wenn ich 'Karl' gesagt habe."

Die kurze Antwort ist, dass 'meinen' nicht eine bestimmte Tätigkeit bezeichnet, sondern je nach den Umständen ganz Verschiedenes. Aber in keinem Fall handelt es sich dabei um einen inneren (psychologischen) Mechanismus, der mir erlauben würde einen inneren Zustand z.B. mit einem gesprochenen Wort zu verknüpfen. Wittgenstein behandelt das Meinen in dem Sinn, der hier für uns relevant ist, in einer recht langen Serie von Kommentaren von 661 bis 693. Am Ende der Serie, das gleichzeitig das Ende von Teil I ist (d.h. das Ende des Teils, den Wittgenstein selber weitgehend zur Veröffentlichung vorbereitet hat), heißt es:

"693. Wenn ich Einen [eine bestimmte Technik] lehre, meine ich doch, er solle [... ]." - Ganz richtig: du meinst es. Und offenbar, ohne notwendigerweise auch nur daran zu denken [im Beispiel kommt die Verblüffung daher, das der Schüler das scheinbar Selbstverständliche nicht tut]. Das zeigt dir, wie verschieden die Grammatik des Zeitworts 'meinen' von der des Zeitworts 'denken' ist. Und nichts Verkehrteres, als Meinen eine geistige Tätigkeit nennen! Wenn man nämlich nicht darauf ausgeht, Verwirrung zu erzeugen. (Man könnte auch von einer Tätigkeit der Butter reden, wenn sie im Preis steigt; und wenn dadurch keine Probleme erzeugt werden, so ist es harmlos.)

[Die Teile in eckigen Klammern sind von mir eingefügt und ersetzen zum Teil einen Text, der sich auf frühere Beispiele bezieht. Die Hervorhebung ist von mir.]

Ich hoffe ich habe den Einwand wenigstens vorläufig genug von unserer Diskussion getrennt, dass wir nun wieder zur Frage der Begriffe im Rahmen unserer Überlegungen zurückkehren können.


Tuesday, May 24, 2016

DE 0019 Sprache und Denken

# DE 0019

Ich will folgenden möglichen Einwand gegen das Beispiel im letzten Kommentar behandeln, bevor wir weitergehen.

"Es ist schon möglich, dass wir den Fehler des Ausländers nur entdecken, wenn er das Wort 'blau' falsch anwendet. Aber er wendet es doch nur falsch an, weil er das Bild von rot in seinem Geist mit einem falschen Namen belegt. Und das ist doch der springende Punkt."

Warum das Bild im Geist? Er hatte ein physisches rotes Auto vor Augen und sagte fälschlicherweise, es sei blau. Er konnte direkt die farbliche Eigenschaft des Autos nennen - wozu der Umweg über ein Bild im Geist, das niemand sehen kann, und das auch keineswegs vorhanden sein muss.

"Aber dann haben wir nicht die Verbindung zwischen dem Wort, und wie der Ausländer seine Bedeutung lernt - nämlich mit Hilfe eines Farbmusters."

Nun, wir alle lernen den Gebrauch der Farbwörter, indem wir die Farbnamen verschiedener färbiger Gegenstände lernen. Das ist alles, was wir brauchen, damit wir uns über Farben verständigen können. Und das ist auch alles, was wir mit sprachlichen Mitteln feststellen können. Wir machen ja zum Beispiel keinen MRS, wenn wir mit jemandem über die Farbe eines Autos reden (und das würde auch nichts nützen). Wir wissen, was er sagt, weil er die Worte so verwendet wie wir. Was dabei in seinem Zentralnervensystem vorgeht, hat mit der Beziehung zwischen Wort und Bedeutung nichts zu tun.

Der Ausländer mag ein Bild vor Augen haben, oder nicht, wenn er das rote Auto blau nennt. Es ist für den Ausgang der Sache vollkommen gleichgültig - und daher für unser Problem irrelevant.

Es geht ja hier auch um mehr, als um das Beispiel mit den Farben. Was dieses Beispiel zeigen soll, ist, dass wir im Prinzip die Bedeutung von Wörtern durch ihre Anwendung lernen. Und daher verhält es sich, wie Wittgenstein in Philosophische Untersuchungen feststellt:

43. Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes 'Bedeutung' -wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung - dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.

Nicht nur ist irrelevant, welche Farbe sich der Ausländer vorstellt, sofern er sich überhaupt eine vorstellt, wenn er "blau" sagt, es ist insgesamt gleichgültig für die Bedeutung der Wörter, welches Bild ich mit ihnen verknüpfe, wenn ich es ausspreche. Ich muss überhaupt nichts damit verknüpfen, solange ich es nur richtig verwende. Andernfalls wäre die sprachliche Verständigung so gut wie unmöglich, denn wir alle verbinden ganz sicher ganz verschiedene Vorstellungen mit den selben Wörtern; ich meine, verschiedene Personen unter einander, und die selben Personen zu verschiedenen Zeitpunkten. Es wäre vollkommen unmöglich zu wissen, wovon wir reden, und wir selber wüssten nicht, woran wir denken: wenn man bei 'rot' an ein rotes Auto denkt - ist es dann die Farbe, das Modell, die Zahl der Reifen, ob es zwei oder vier Türen hat... Wie sollen wir das entscheiden, außer indem wir wissen, dass 'rot' eine Farbe ist - und das ist etwas, was von unserem Umgang mit Begriffen abhängt. Ein reines Vorstellungsbild kann das nicht lösen.

Damit haben wir einen Übergang zum nächsten Thema.


Monday, May 23, 2016

DE 0018 Sprache und Denken

# DE 0018

Kommen wir also zurück auf das Zitat von Damasio im letzten Kommentar. Der Autor nimmt - kurz zusammengefasst - an, dass die Sprache ein Mittel ist um in Sätzen und Wörtern nicht sprachliche Element zu symbolisieren. Man muss davon ausgehend dann annehmen, meint er, dass demnach auch Wörter wie 'ich' und 'wissen' ein nicht sprachliches Element symbolisieren. Zum Beispiel das nicht verbale Selbst und vielleicht das Bewusstsein, eventuell von diesem Selbst, dann eben als Selbstbewusstsein.

Wir haben schon in einem früheren Kommentar (# 0013) die Theorie von Saul Kripke um die Namen für natürliche Arten gestreift. Der Idee, dass man das Atomgewicht von Gold wissen muss, damit man weiß, was das Wort 'Gold' bedeutet, stellt PFN nun entgegen: "...zu wissen, was ein Wort heißt besteht in der Fähigkeit es richtig zu verwenden." Und gegen die Idee von Damasio, Wörter seien Übersetzungen von geistigen Bildern, führen Bennett und Hacker an:

Das Kriterium ob eine Person weiß, was ein Wort bedeutet, ist nicht, dass das richtige Bild in seinem Geist auftaucht, jedesmal, wenn er das Wort verwendet oder jedesmal, wenn er hört, dass das Wort verwendet wird. Wenn es so wäre, so wüssten wir nie ob eine andere Person die Wörter, die wir verwenden, versteht, ohne ihn zu fragen, welches geistige Bild er hat, wenn er sie hört. [PFB S. 339]

Wenn dies aber so wäre, dann müsste schon sicher sein, dass der Befragte die Frage so versteht wie wir; das heißt, die Frage kann nicht entschieden werden, weil sie das Resultat voraussetzt. Zum Beispiel: "Was für eine Farbe stellst Du Dir vor, wenn Du das Wort 'blau' hörst?" - "blau." Nun ist der Mann aber ein Ausländer, der rot und blau verwechselt. Entdecken können wir das aber erst, wenn er von einem roten Auto behauptet, es sei blau: Er verwendet das Wort ´blau' falsch, und nur so wissen wir, dass er die Bedeutung dieser Farbwörter verwechselt. Was er sich dabei vorstellt, ist vollkommen belanglos für die Frage.

Damasio sagt auch in dem neulichen Zitat, dass Sätze und Wörter Übersetzungen von etwas anderem sind, das schon vorher da ist. Der Biologe Gerald Edelmann und der Neurowissenschaftler Julio Tononi denken dabei ähnlich an Begriffe, die ganz ohne Zuhilfenahme der Sprache das Werk unserer Gehirnoperationen sind. Die Verwirrung, auf der dieses Bild beruht, ist etwas komplexer, und wir werden nächstens versuchen sie nach und nach zu entwirren.

Saturday, May 21, 2016

DE 0017 Sprache und Denken

# DE 0017

Uns sind zuletzt zwei Fragen übrig geblieben, (i) nach dem Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Denken (und der Sprache) und (ii) ob wir unter Bewusstsein wenigstens in einem beschränkten Sinn verstehen können, was Dennett versucht metaphorisch zu beschreiben. Wenden wir uns zunächst der ersten dieser beiden Fragen zu.

Bennett und Hacker sagen hierzu folgendes:

Das Bewusstsein von Tieren, die verschieden von uns selbst sind, setzt offensichtlich nicht den Besitz einer Sprache voraus. Und die rudimentären Formen de Denkens, die man den höheren Tieren zuschreiben kann, bedürfen nicht der Beherrschung einer Sprache. Entschieden menschliche Formen von Denken, Wollen und Affektion jedoch sehr wohl. [PFN, S. 337; PFN steht für Philosophical Foundations of Neuroscience]

Im Anschluss daran führen sie Gesichtspunkte mehrerer berühmter Wissenschaftler an, die in ihrem Standpunkt an unsere ursprüngliche Frage erinnern, die ganz am Anfang dieser Diskussion stand. Zum Beispiel Antonio Damasio, der berühmt wurde mit seinem Buch Descartes' Error, macht folgende Feststellung:

Sprache, das heißt, Wörter und Sätze, ist eine Übersetzung von etwas anderem, eine Umwandlung von nicht-sprachlichen Bildern, die Einheiten, Geschehnisse, Beziehungen und Schlussfolgerungen vertreten. Wenn die Sprache für das Selbst und für das Bewusstsein auf die gleiche Weise arbeitet, wie es für alles andere arbeitet, das heißt, indem es mit Hilfe von Worten und Sätzen symbolisiert, was zuerst in nicht-verbaler Form besteht, dann muss es ein nicht-verbales Selbst und ein nicht-verbales Wissen davon geben, wovon die Wörter 'ich' oder 'mir' oder der Ausdruck 'ich weiß' die geeignete Übersetzung in jede beliebige Sprache sind. [Zitiert nach PFN aus: Damasio, The Feeling of What Happens; Heinemann, London, 1999; p. 107]

Ein damit verwandter aber etwas anderer Einwand gegen die Idee, dass die Sprache für das menschliche Denken eine wesentliche Voraussetzung ist, kommt unter anderen von Roger Penrose mit Berufung auf Albert Einstein und andere, in dem Sinn, dass bei mathematischen Operationen die Wort-Sprache eher stört; um seine physikalischen Theorien aufzustellen verlasse er sich vollkommen auf mathematische Symbole.

Ich habe schon angedeutet, dass die Annahme falsch ist, die Bedeutung der Wörter sei das Objekt, von dem wir sprechen; obiges Zitat von Damasio beruht zum Teil auf dieser Annahme. Wir werden uns demnächst ausführlicher damit beschäftigen müssen, weil es ein Irrtum ist, der sich durch die gesamte Geschichte der Moderne zieht, mindestens seit Hobbes und Locke, wie PFN zeigt, und deshalb wohl ein tief sitzendes Vorurteil vertritt. Das Zitat ist aber auch noch in anderer Hinsicht Ausdruck begrifflicher Verwirrung.

Leichter ist es zu zeigen, dass der Einwand von Penrose (oder von Einstein, wenn er als einer gemeint sein sollte) kein wirklicher Einwand ist. Mathematische Symbole sind Abkürzungen, die auf Definitionen in der Alltagssprache beruhen (ich bin sicher, dass sich Einstein darüber vollkommen im klaren war). Es wäre in der Tat unmöglich einen komplizierten mathematischen Beweis in Alltagssprache zu formulieren oder über ihn nachzudenken. Aber das macht den mathematischen Symbolismus nicht unabhängig von der Sprache. Und wir wollen ja auch nicht vergessen, was wir schon mehrfach betont haben: die Abhängigkeit menschlichen Denkens von der menschlichen Sprache besteht ausdrücklich nicht darin, dass wir still zu uns selber sprechen, wenn wir denken. Ganz im Gegenteil: normalerweise wissen wir, was wir sagen wollen, und sagen es dann direkt heraus, ohne es vorher (oder gleichzeitig) still zu uns selber zu sagen. Wie ich schon zu Beginn versucht habe zu verstehen zu geben, niemand, dass ich wüsste, verteidigt einen so absurden Standpunkt.


Friday, May 20, 2016

DE 0016 Sprache und Denken

# DE 0016

Was Bennett und Hacker Dennett und den meisten Geistesphilosophen vorwerfen, ist, in großen Zügen, dass, was unter dem Namen Bewusstsein zusammengefasst wird, nicht einem bestimmten Phänomen entspricht, für das es Sinn machen würde eine gemeinsame materielle z.B. neurophysiologische Ursache zu suchen und noch viel weniger zu hoffen, dass man eine finden wird. Beschreibt man dieses fiktive Phänomen z.B. in metaphorischer Sprache, wie Dennett vorschlägt, dann schafft man allenfalls die Illusion, von einem bestimmten Phänomen zu sprechen; und diese metaphorische Sprache verwandelt sich dann in ein ernstes Hindernis wirklich zu verstehen, wovon wir sprechen, wenn wir das Wort 'Bewusstsein' in unseren Sätzen verwenden, und diese Art von bildlicher Beschreibung garantiert dann, dass dieses Phänomen weiterhin ein Mysterium bleibt, an dem sich noch viele Generationen von Geistesphilosophen die Zähne ausbeißen werden.

Für unser ursprüngliches Problem ist dieses Resultat wichtig, weil wir zu dem Schluss gekommen waren, dass es ohne Bewusstsein kein Denken in unserem Sinn gibt; denn wir mussten willkürliche von unwillkürlichen Entscheidungen unterscheiden, wenn wir das Denken (ohne hier eine Definition zu versuchen; d. h., was immer wir darunter ansonsten verstehen mögen) von automatischen, biologischen Reaktionen trennen wollten, die eventuell sogar ganz ohne Zentralnervensystem ablaufen könnten, da wir uns sonst womöglich genötigt sehen könnten auch einem Thermostaten Gedanken zuzuschreiben. Die genaue Verbindung zwischen Denken und Bewusstsein müssen wir erst noch untersuchen. Was wir zunächst tun wollen ist, untersuchen, ob es nicht einen Kern von Bedeutung für den Begriff 'Bewusstsein' gibt, den wir versuchen könnten mit neuronalen Aktivitäten zu identifizieren, und dass es Bewusstsein in diesem, beschränkten Sinn ist, von dem Dennett und seine Weggefährten reden.

Der gesamte Teil III von Philosophical Foundations of Neuroscience ist der er Analyse des Begriffs 'Bewusstsein' und seiner Behandlung in den zeitgenössischen Neurowissenschaften gewidmet;ziemlich genau 120 Seiten. Davor haben die Autoren in Teil I die geschichtlichen und begrifflichen Wurzeln der philosophischen Probleme untersucht, in die sich die zeitgenössichen Neurowissenschaften vielfach verstricken, von Aristoteles bis John Eccles. Teil II widmet sich der Untersuchung der Verbindung der menschlichen Fakultäten und der Neurowissenschaften, worunter gegen Ende dieses Abschnitts auch das kognitive Vermögen und Begriffe wie 'Glauben', 'Denken', 'Vorstellen und geistige Bilder' fallen, von dem wir den Abschnitt über das Denken kurz gestreift haben. Der vierte und letzte Teil des Haupttextes behandelt dann methodologische Fragen.

Teil III behandelt im Kapitel 9 den Unterschied zwischen "intransitivem und transitivem Bewusstsein", im Kapitel 10 "Bewusste Erfahrung, Geisteszustände und Qualia", im Kapitel 11 "Rätsel um das Bewusstsein" und im Kapitel 12 schließlich "das Selbstbewusstsein". Ein Unterkapitel ist unserer ursprünglichen Frage gewidmet: "Gedanke und Sprache".

Als nächstes werden wir also versuchen in großen Zügen herauszufinden, ob die Diskussion dieser Fragen für Dennett einen Ausweg lässt, wie wir ihn oben angedeutet haben.

Thursday, May 19, 2016

DE 0015 Sprache und Denken

# DE 0015

Daniel Dennett ist ein außerordentlich attraktiver Philosoph, der seine Argumente mit Witz und Eleganz vorträgt, und er ist der solidarischste Kritiker den ich kenne. Ein gutes Beispiel ist sein Buch Darwin's Dangerous Idea, das ich warm empfehle, wenn Ihr es nicht gelesen habt. Er ist es, der in etwa sagt, dass man die Position eines philosophischen Gegners zuerst so gut zusammenfassen muss, dass der Gegner sagt: "Ja, das ist es, was ich sagen wollte. Ich wünschte, ich hätte das so gut ausdrücken können." Und erst dann darf man dazu übergehen, die Schwachpunkte und Fehler des Arguments aufzuzeigen.

Peter Hacker ist mehr oder weniger das Gegenteil davon. Er ist ein Protzer, Dogmatiker und versucht seine Gegner zu zerfetzen, bevor sie noch richtig gesagt haben, was sie eigentlich sagen wollen, und es ist ihm schnurzegal ob er die Position seiner Gegner richtig darstellt oder nicht. Außerdem hat er eine Idee von Wittgenstein, die diesen ganz im Licht der Tradition de analytischen Philosophie sieht, und wenn er auch sicher Wittgensteins Philosophie besser kennt als ich - er hat sie ja praktisch sein ganzes Leben lang studiert, während ich meine Zeit damit verbracht habe mit Managern von Autofabriken auf dem Golfplatz herumzuspazieren - glaube ich doch, dass sein Verständnis von Wittgenstein zu sehr von seinen eigenen philosophischen Zielen verzerrt ist. Wahrscheinlich liegt das daran, dass Wittgenstein eben kein Gelehrter war, und seine philosophischen Ausführungen die wohlwollende Behandlung durch ausgelernte und professionelle Philosophen brauchen. Nun, wahrscheinlich tue ich Hacker unrecht. Wie immer, ich hege keine große Sympathien für ihn (außer, dass ich das allermeiste, was ich über Wittgenstein weiß, zuerst bei ihm gelesen habe).

Dennett hat ein Buch geschrieben mit dem Titel Consciousness Explained. In dem Buch von Bennett und Hacker, das wir schon kennen, lassen die beiden Autoren (unter vielen anderen) von Dennetts Erklärungen in diesem seinen Buch wenig übrig. Nun, mir gefällt ihr Stil nicht. Aber ich denke, dass sie im wesentlichen recht haben.

Wir werden diesen Streit nur ganz an der Oberfläche darstellen können - das Thema ist noch wesentlich weitläufiger als die Frage was zuerst kommt, die Sprache oder das Denken (Die Assoziation mit Henne und Ei kommt hier übrigens ganz zurecht auf).

Dennetts Buch beginnt, wo es wirklich losgeht, in Kapitel 2 auf Seite 21, mit den Worten: "Das menschliche Bewusstsein ist das beinahe letzte überlebende Mysterium." In anderen Worten, es ist -sagen wir mal- ein Phänomen mit dem wir ständig konfrontiert werden, zu dessen Erklärung uns aber nichts Gescheites einfällt.

Den Rest des Buches widmet Dennett mehr oder weniger der Erklärung dieses Phänomens. Er behauptet am Ende nicht, dass seine Erklärung vollständig ist. "Alles was ich wirklich getan habe", sagt er, "ist eine Gruppe von Metaphern und Bildern mit einer anderen zu ersetzen." Das ist aber nicht etwas, was belanglos ist. "... Metaphern sind die Werkzeuge des Denkens." Setzt Dennett fort. "Niemand kann über das Bewusstsein ohne sie nachdenken, es ist deshalb wichtig, dass wir uns mit den besten Werkzeugen ausrüsten, die uns zur Verfügung stehen."

Bennett und Hacker zeigen in ihrem Buch auf, dass diese Behauptung Dennetts schlicht falsch ist, und dass, in Metaphern über ein Problem nachzudenken, höchstens neue (mysteriöse) Schimären produziert. Wir werden nächstens versuchen dieser Demonstration wenigstens ein bisschen zu folgen, und auch ein bisschen zu sehen, was es mit diesem "letzten Mysterium" nun in der Tat auf sich hat.

Dennett, Daniel C.; Conscousness Explained; Little, Brown and Company; Boston, New York, Toronto, London; 1991

Wednesday, May 18, 2016

DE 0014 Sprache und Denken

# DE 0014

Gehen wir nochmals zurück auf unser ursprüngliches Bild, das wir nach allem, was wir gesagt haben, jetzt vielleicht klarer zeichnen können:

Denken ist etwas organisches, oder die Folge von organischen Vorgängen, die es in ganz primitiver Form bei allen Organismen gibt, und das immer komplizierter wird, je komplexer der Organismus ist. Denken ist, möchte man sagen, was ein Organismus tut wenn er nicht einem blinden Automatismus folgt, sondern eine Entscheidung fällt: Angreifen oder Fliehen!

Solche Alternativen gibt es für jedenfalls alle komplexeren Organismen, ganz unabhängig von ihren sprachlichen Kapazitäten. Es ist daher ganz unmöglich, dass dieser Vorgang in seinem Ursprung von der Sprache abhängt. Er muss von organischen Gegebenheiten abhängen, die "primitiver" oder "ursprünglicher" sind als jene, die der Sprache zugrunde liegen.

Und wenn ich wissen will, worin das Denken besteht, dann muss ich seine primitiven Wurzeln erforschen, und nicht Grammatik betreiben.

Dieses Bild kann man noch in mancher Hinsicht vervollständigen und in dem einen oder anderen Punkt auch noch berichtigen. So ist keineswegs klar, dass die Entscheidung zwischen Angreifen und Fliehen nicht auf einem einfachen Mechanismus beruht, sondern eine "bewusste" Entscheidung braucht; wir müssten dann also vielleicht ergänzen, dass es zum Denken eines Bewusstseins bedarf, was immer das sein mag. Und dann müssten wir das Denken auf Organismen mit Bewusstsein beschränken. Was braucht ein Organismus, um bewusst zu sein? Was ist Bewusstsein? Ist das leichter zu beantworten, und können wir die Frage klären, bevor wir klären, was Denken ist?

Ein andere Frage, die hier ihr Haupt erhebt und beginnt in uns den Verdacht zu erwecken, dass wir hier wie Herkules gegen ein Ungeheuer mit sieben (oder wie vielen immer) stets nachwachsenden Köpfen kämpfen, ist, ob es denn überhaupt möglich ist zu entscheiden, wann eine Frage automatisch ist, und wann sie von der Kapazität zu denken abhängt. Unterliegen in der Natur nicht alle Vorgänge der Kausalität? Hängt die Frage nach dem Denken zusammen mit der Frage nach dem freien Willen?

* * * * *

Je klarer wir versuchen das Bild zu zeichnen, das uns vorschwebt, und auf dem unser Urteil beruht, dass das Denken etwas von der Sprache unabhängiges sein muss, desto verschwommener wird es. Die Begriffe, mit denen wir versucht haben die Aussage scharf zu konstruieren, sind selber verschwommen. Es liegt der Verdacht nahe, dass unser Bild, von dem wir so überzeugt sind, dass es irgendwie richtig sein muss, auf einer Reihe begrifflicher Verwirrungen beruht (und natürlich gibt es ohne Sprache keine Begriffe, und nicht einmal verwirrte Bilder).

Aber es mag sein, dass der Verdacht selber noch verdächtig ist. Wir wollen also ein bisschen weiter bohren: es hat sich uns ergeben, dass Denken vielleicht mit Bewusstsein zusammenhängt. Es scheint ja auch ganz sicher, dass das Bewusstsein etwas ist, was keiner Sprache bedarf. Wenn wir klären können, was bewusstes Handeln ist, dann wissen wir vielleicht, was Denken ist, ohne auf die Sprache zurückgreifen zu müssen.


Tuesday, May 17, 2016

DE 0013 Sprache und Denken

# DE 0013

Bennett und Hacker hatten in dem Abschnitt, den wir letztens versucht haben zusammenzufassen, ein spezifisches Bild vor Augen, das es zu untergraben galt: Die Identifizierung von Denken mit einem messbaren physikalischen Vorgang im Zentralnervensystem. Das war nicht ganz unser Ziel. Wir wollten untersuchen, ob wir unter denken jenen mysteriösen Vorgang verstehen können, vielleicht nicht ausschließlich, aber auch, der abläuft bevor es soweit kommt, dass wir etwas in Sprache fassen.

Wenn die beiden Autoren recht haben mit ihrer Behauptung, dann ist jedoch auch für unsere Frage klar, dass wir denken nicht mit so einem Vorgang gleichsetzen können, auch nicht als Teilbegriff von denken. Denken, sagen sie, ist nicht etwas, was im Hirn, und auch nicht etwas, was mit dem Hirn geschieht, in keiner der vielen verschiedenen Bedeutungen, die 'denken' annehmen mag. Auch nicht, wenn wir uns bei 'denken' Le Penseur von Rodin vorstellen, also etwas, was anscheinend ohne irgend eine äußere Aktivität abläuft (was natürlich nicht ganz richtig ist, sonst hätte Rodin keine Statue machen können, der man ansieht, dass sie einen Denker darstellt). Eine ganz schön starke Behauptung!

Das Argument scheint einzig und allein auf grammatikalischen Beobachtungen zu beruhen: auf der Grammatik von Wörtern wie 'denken' und 'Gedanke'. Wie können solche Beobachtungen ausschlaggebend sein dafür, was die Wissenschaft entdecken kann (oder in unserem Fall: für meinen Begriff von denken)? Denn das Argument bedeutet ja, dass die Neurophysiologen zwar feststellen können, welche neuronalen Aktivitäten mit gewissen gedanklichen Aktivitäten einhergehen, aber sie können angeblich diese gedanklichen Aktivitäten nicht als durch die entsprechenden neuronalen Aktivitäten definiert verstehen. Und der Grund dafür soll einzig und allein sein, wie wir in unserem normalen Sprachgebrauch Wörter wie 'denken' und 'Gedanke' verwenden. Haben die Wissenschaftler nicht immer schon Wörter bei der Konstruktion ihrer Hypthesen und Theorien in einem speziellen Sinn verwendet? Und wenn ich unter denken einen geheimnisvollen Vorgang verstehe, kann mir eine Untersuchung der Grammatik vorschreiben, dass ich das nicht darf?

Ich will nicht allzu viel virtuelle Tinte darauf verschwenden, die Frage für den Fall der Wissenschaft zu behandeln. Natürlich hat die Wissenschaft schon immer Wörter aus der Umgangssprache entlehnt und ihr eine beschränkte oder ganz andere Bedeutung gegeben. Aber dann spricht die Wissenschaft eben nicht von dem Gegenstand, Phänomen, oder was immer, das wir im normalen Sprachgebrauch darunter meinen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Wasser = H2O, aber das stimmt mit unserer normalen Verwendung des Wortes 'Wasser' keineswegs überein. Wir gehen weder in H2O schwimmen, auch nicht in verunreinigtem H2O, sondern eben in Wasser; noch können wir H2O trinken, noch fahren unsere Ozeanriesen in H2O. H2O existiert allenfalls im Laboratorium. Wir leben mit dieser Zwiespältigkeit, weil wir die Formeln für "chemisch reines Wasser" oder "chemisch reine Schwefelsäure" sehr bald in der Schule lernen.

Die amerikanischen Philosophen Saul Kripke und, jedenfalls während einer Periode seiner intellektuellen Entwicklung, Hilary Putnam haben eine Theorie vertreten, nach denen Wörter wie Wasser und Gold in der Tat natürliche Arten bezeichnen, so dass wir die wahre Bedeutung nur kennen, wenn wir Experten in Chemie oder in Metallurgie sind. Alle anderen Menschen verwenden solche Wörter ohne eigentlich zu wissen wovon sie reden. Die beiden sind ernste und berühmte Philosophen, so dass ich nicht hoffen kann ihre Theorie mit einer Handbewegung abzutun. Aber ich will nicht verheimlichen, dass ich das für ganz schön verrückt halte. Kurz gesagt, weil ich es für verrückt halte zu glauben, dass die Bedeutung der Wörter der Gegenstand ist, den sie bezeichnen, und weil ich es für verrückt halte vorzuschlagen, dass 99.9% der Menschen ihre Muttersprache nicht beherrschen. In dieser Theorie muss dann auch der Ausdruck "die Bedeutung eines Wortes verstehen" einen Sinn angenommen haben, der mit dem, was dieser Ausdruck eigentlich bedeutet, nichts zu tun hat. Die sprachlichen Ausdrücke bekommen ihre Bedeutung dadurch, dass wir sie in unserer normalen Sprache erfolgreich verwenden. Wenn wir das in 99.9% der Fälle nicht können, dann hört sich die Sprache auf. Damit ist der Vorschlag von Kripke und Putnam nicht erledigt, aber wir können hier auf seine weitere Behandlung verzichten, denke ich.

Wie ist es aber damit, dass ich unter denken eben etwas bestimmtes Geheimnisvolles verstehen möchte, das mir ganz sicher wenigstens "mitgemeint" vorkommt? Darum ging es uns ja eigentlich!

Der Beitrag ist schon lang genug. Ich komme im nächsten Beitrag darauf zu sprechen.

Sunday, May 15, 2016

DE 0012 Sprache und Denken

# DE 0012

In Philosophical Foundations of Neuroscience, M.R. Bennett und P.M.S. Hacker behandeln das Thema 'denken' im Abschnitt 6.2, von der Seite 175 bis 180, auf knapp 5 Seiten. Es ist klar, dass es dazu viele vorbereitende Argumente gibt, auf die wir hier nicht eingehen können, und die zu einem vollen Verständnis dessen, was die beiden zum Thema zu sagen haben, notwendig sind. Aber auch so, glaube ich, kann uns eine Zusammenfassung nur dieses Abschnitts in unseren Überlegungen weiterbringen.

Die Untersuchung beginnt damit, Ähnlichkeiten und Unterschiede von glauben und denken aufzuzeigen. Manchmal besteht kein Unterschied, stellen sie fest, wenn man statt 'glauben' und 'denken' auch 'meinen' sagen kann. Trotzdem ist denken und glauben keineswegs dasselbe:

"Man kann mit denken beschäftigt sein, aber nicht mit glauben und kann deshalb beim denken unterbrochen werden, aber nicht beim glauben. Man kann ein Problem durch-denken, aber nicht durch-glauben, über eine Lösung nach-denken oder sie er-denken. Die Antwort auf die Frage er-denken ist nicht dasselbe, wie sie glauben. Man kann laut oder still, schnell oder langsam, effizient oder ineffizient, produktiv oder unproduktiv denken, aber nicht glauben. Man kann einer Person, ein Gerücht oder eine Geschichte glauben, aber nicht denken, wie man, in der Tat, an eine Person, an Gott, oder eine Sache glauben kann, aber nicht denken [auf englisch; auf deutsch geht das; aber natürlich ist auch auf deutsch 'an Gott glauben' nicht dasselbe wie 'an Gott denken']."

Als nächstes werden wir daran erinnert, dass denken vielen verschiedenen logischen Kategorien angehören mag. Wie schon der vorige Absatz zum Teil durch Beispiele zeigt, kann denken etwas sein, was einfach geschieht, etwas, was ich tue, etwas, mit dem ich beschäftigt bin, wenn ich mich auf etwas konzentriere; oder manchmal sagt denken nur, dass ich eine Meinung habe. Der Witz von all dem ist uns darauf hinzuweisen, dass unsere Idee von 'denken', inspiriert in der Statue von Auguste Rodin "der Denker", unzureichend ist: nur dasitzen, das Kinn auf die Hand gestützt, die Brauen zusammengezogen, ohne äußere Aktivität. Denken ist mehr als das.

Als Überschriften für verschiedene Arten von Denken, zu denen jeweils eine Reihe von Beispielen angeführt werden, schlagen Bennett und Hacker vor:

  • Denken als sich einer anstehenden Aufgabe widmen
  • Denken als intelligente Beschäftigung mit einer Aktivität
  • Denken als intelligente Sprache
  • Denken als meinen, urteilen, unterstellen, annehmen
  • Denken als assoziieren und erinnern
  • Denken als eine Art von vorstellen
  • Denken und etwas (als etwas, auf eine bestimmte Weise) meinen
  • Denken und vernünftige Problemlösung
  • Denken, freies Gedankenspiel und Vorstellen
Eine der Folgen dieser Feststellung ist, dass die Identifizierung von zum Beispiel assoziativem Denken mit dem Aufleuchten gewisser Regionen des Zentralnervensystems bei einem PET oder fMRI mit Denken schlechthin zu identifizieren, eine ungerechtfertigte Verallgemeinerung darstellt.

Aber der wichtigste Punkt dieser Aufzählung ist, dass es entgegen einer Redeweise (hauptsächlich der Neurowissenschaftler) nicht das Hirn ist, das denkt, sondern die Person, der das Hirn gehört. Aber nicht nur ist das Gehirn nicht das Subjekt des Denkens (sondern die Person), sondern das Hirn ist auch nicht der Ort des Denkens, sagen die Autoren. "...Denken geschieht nicht im Gehirn, sondern im Arbeitszimmer, in der Bibliothek, oder bei einem Spaziergang. Der Ort des Vorgangs in dem eine Person einen gewissen Gedanken denkt, ist der Ort, an dem sich die Person befindet, wenn ihr der Gedanke einfällt. Gedanken findet man niedergeschrieben in Texten, nicht in den Köpfen von Menschen. Gedanken werden von Menschen ausgedrückt, nicht von Hirnen. Denn ein Gedanke ist genau was mittels eines Ausspruchs oder einer anderen symbolischen Darstellung ausgedrückt werden kann. Die Tatsache, dass Menschen denken können ohne zu sagen, was sie denken, bedeutet nicht, dass was sie dann denken wird innerhalb ihres Hirns gesagt oder sonst irgendwie ausgedrückt." Es mag naheliegend scheinen zu sagen, das Hirn ist das Organ des Denkens, so wie das Auge des Organs des Sehens ist. "Denn man sieht mit seinen Augen (man bringt seine Augen näher an das Objekt in Beobachtung, um es besser zu sehen), aber man denkt nicht, in diesem Sinn, mit seinem Hirn. Und man denkt auch nicht mit dem Hirn in dem Sinn, in dem man mit den Beinen geht oder Essen mit dem Magen verdaut." Aussprüche wie "benütze dein Hirn!" um zu verlangen, dass der andere nachdenken soll, statt gedankenlos herauszuplatzen, sind nur als Metaphern zu verstehen.

Nach diesem Ausflug, können wir wieder nächstens auf unser eigentliches Problem zurückkommen. Mir ist klar, dass es eine Menge möglicher Einwände gegen diese Darstellung der Dinge gibt. Wir können auch darüber reden, zum Beispiel, dass die Wissenschaftler doch sicher das recht haben, ihrer Sprache eine spezielle Bedeutung zu geben, weshalb die obigen Beispiele, die allesamt der Alltagssprache entnommen sind, für die Überlegungen der Neurowissenschaftler bedeutungslos sind. Wir können auch davon reden, vor allem wenn es notwendig ist um zu einem Schluss bei der Diskussion unseres Problems kommen.

Saturday, May 14, 2016

DE 0011 Sprache und Denken

# DE 0011

Ich glaube, wir sind nun zu dem Schluss gekommen, dass, wenn wir von 'denken' reden, normalerweise von Situationen reden, die es ohne menschliche Sprache nicht gäbe.

Die Frage, die allerdings schon vorher aufgetaucht war, war nun, ob das Zeitwort 'denken' nicht unabhängig von dieser Beobachtung einen inneren Vorgang bezeichnet, wie zum Beispiel, was ich tue, damit mir ein Wort einfällt, das in einem ansonsten fertig formulierten Satz vorkommt.

Zum Beispiel, was passiert zwischen der Formulierung des Gedankens: "Der Komponist der Symphonie Fantastique heißt ...." und des ein paar Sekunden oder Minuten, oder vielleicht Tagen später gedachten Ausdrucks "Hector Berlioz". Wir wollen hier nochmals ausdrücklich festhalten, dass es sich dabei nur um ein Beispiel eines bereits in Worte gefassten Gedankens handelt, zu dem nur ein Bestandteil fehlt, auf den ich dann später komme; dies ist aber keine zwingende Voraussetzung um überhaupt von Gedanken sprechen zu können. Zwischen den beiden Momenten, in denen ich zuerst den unvollständigen Gedanken ausspreche, und dann das erlösende Komplement, mag ich mir nun zuflüstern "wie heißt er bloß, wie heißt er bloß", oder ich mag versuchen dem Rat zu folgen "meinem Gehirn/meiner Erinnerung das Kommando zu geben: 'gib mir den Namen des Komponisten der Symphonie Fantastique' ", oder auch nicht. Was klar ist, ist dass es keinen bewussten Vorgang gibt der den einen Moment mit dem anderen verbindet. Ich kann mir nicht dabei "zusehen", wie ich es mache, dass mir 'Hector Berlioz' einfällt. Alles was ich feststellen kann, ist, dass ich den Namen zuerst nicht wusste, und dann wusste ich ihn plötzlich.

Ist das, was da passiert, die Essenz des Wortes 'denken'? Oder kann es allenfalls unter den richtigen Umständen gemeint sein?

* * * * *

Ich mache nun einen Gedankensprung (in Wirklichkeit hauptsächlich, weil ich inzwischen Sirup für die Kolibris im Garten gekocht und mir einen Kaffee gemacht habe). Ich glaube aber, es ist leicht nachzuvollziehen, was dazwischen liegt, ohne dass ich es auszuführen brauche. Ich habe die letzte Frage einfach einmal hypothetisch mit 'ja' beantwortet, obwohl ich davon überzeugt bin - wie ich ja mehrfach angedeutet habe - dass dies nicht die richtige Antwort ist. Und ich bin unter dieser Annahme dann einem möglichen Versuch auf der Spur, eine zufrieden stellende Antwort auf die empirische Frage "Was ist denken?" zu finden; nämlich das Denken mit gewissen neuronalen Aktivitäten zu identifizieren, was, wenn es zuträfe, uns vielleicht erlauben würde genau herauszufinden, was das Denken eigentlich ist, indem wir die entsprechende Hirnaktivität erforschen.

Wir wissen seit geraumer Zeit, dass wir ohne Hirn nicht denken können. Aber ohne Hirn können wir auch nicht sehen, nicht hören, nicht laufen und keinen Geschlechtsverkehr haben. Andererseits können wir das alles auch nicht ohne Kohlenstoff,  Phosphor, oder Eisen, ohne Licht, ohne Luft oder Wasser, ohne Beine und ohne einen Mann oder eine Frau. Niemand kommt auf die Idee zu glauben, er könne den Geschlechtsverkehr mit einer Hirnaktivität identifizieren (wie viel billiger käme uns der Sex! Sorry for the bad joke). Woher kommt die Idee, das Denken mit einer Hirnaktivität zu identifizieren?

Eine vollständige Antwort darauf muss Bezug auf unsere Kultur und Geistesgeschichte nehmen, denke ich; ein großer Teil der Vorstellungen, die dahinter stecken, können wir auf die gedankliche Revolution zurückführen, für die als wichtigster Exponent René Descartes steht. Eine kürzere Antwort mag feststellen wollen, dass wir im Unterschied zum Sehen, Hören, Laufen oder Kopulieren keine anderen materiellen Voraussetzungen brauchen (und Phosphor, etc., liegt ja auch der neuronalen Aktivität zugrunde). "Der Gedanke ist frei!" und etwas, was tief in meinem Innern abläuft, wenn überhaupt, dann nur mir direkt zugänglich. Eine Magnetresonanz mag Hirnströme identifizieren können. Aber was für Gedanken ich dabei habe, kann nur ich sagen. Das einzige, was ich dazu brauche, scheint die Hirnaktivität zu sein: also liegt der Schluss nahe: Denken = neuronale Aktivität. Es gibt wirklich Leute, die das glauben...

Eine andere Frage, die damit zusammenhängt, ist die nach der Möglichkeit der "künstlichen Intelligenz"; gemeint ist hier hautpsächlich eine Intelligenz, die auf einer künstlichen neuronalen Operation nach Algorithmen beruht; ich denke, dass es diese Frage war, die die ursprüngliche Opposition gegen die Auffassung, dass die Sprache eine Voraussetzung  des Denkens sei, motiviert hat, die schließlich diese ganze Diskussion ins Rollen gebracht hat. Ich weiß das aber nicht genau. Wir werden im Laufe der weiteren Diskussion auch versuchen diese letzte Frage in ein Licht zu rücken, das uns erlaubt die dahinter stehende (philosophische) Sorge zu zerstreuen.


Thursday, May 12, 2016

DE 0010 Sprache und Denken

DE # 0010

Es könnte nach der bisherigen Diskussion nun so scheinen, als wäre die Frage nach der wechselseitigen Abhängigkeit von Sprache und Denken eine eher belanglos akademische Übung.

Das ist aber nicht so, denke ich. Denn die Sprache ist ja, wie wir gerade gehört haben, nicht etwas, was außerhalb von Zeit und Raum steht, sondern ein Teil unseres lebendigen Daseins in der menschlichen Gemeinde. Indem wir sehen, dass das Denken von diesen im Laufe der menschlichen Entwicklung vielfältigen Wandlungen unterworfenen Phänomenen abhängt, untergraben wir die Idee, dass das Denken einer übernatürlichen Rationalität entspringt, die außerhalb von Raum und Zeit steht, und die zum Beispiel direkt ein Geschenk Gottes ist, mit dem Er uns über den Rest der Tierwelt erhoben hat. Oder dass wir nichts sind als Manifestationen des zu sich selbst findenden absoluten Geistes, wie in etwa Hegel vorschlug. Aber natürlich ist auch das etwas komplizierter, als ich hier vorgebe. Ich will keineswegs einem extremen Materialismus das Wort reden.

Nach dieser Nachbemerkung zu einem Thema, das ich nun abgeschlossen glaube, wende ich mich nächstens wirklich der Frage zu, ob das Zeitwort 'denken' einen inneren Vorgang bezeichnet, den im Prinzip nur ich kenne, weil er eben in meinem ganz persönlichen 'ich' abläuft. Aus der geschraubten Formulierung kann man natürlich schon ahnen, dass die Antwort 'nein' ist. Aber um dahin zu kommen, werden wir eine Weile brauchen.

DE 0009 Sprache und Denken

DE # 0009

Den nächsten Teil des Einwands:

"Nur kann man doch aus dieser Verbindung nicht den Umkehrschluss ziehen und behaupten, dass alles Denken in enger Verbindung mit Sprache stehen muss - oder?"

habe ich, denke ich, zum Teil schon behandelt, indem ich versucht habe daran zu erinnern, dass sich unser Denken wesentlich unter der Voraussetzung abspielt, dass wir, wenn man will, essentiell sprachbegabte Tiere sind; auch Handlungen, die ohne die Verwendung von Sprache ablaufen, sind in unserer allgemeinen Lebensform eingebettet, die eben ganz wesentlich von dem Umstand gestaltet ist, dass wir (unter anderen Manifestationen) ohne Sprache nicht auskommen (auch Taubstumme leben in einer durch die Sprache wesentlich mitgestalteten Welt). Es ist also nicht gemeint, dass unser Denken immer nach einem sprachlichen Muster abläuft, etwa wie ein Computerprogramm nach einem Algorithmus, sondern dass unser Denken nicht etwas von unserem sonstigen Leben losgelöstes ist, und deshalb ohne Sprache nicht sinnvoll vorstellbar ist. Wenn ich einen Stinkefinger mache, dann ist das eine komplizierte Beleidigung, das ich da ohne jede Satzstruktur denke (ich denke ja keineswegs einen Satz oder eine Reihe von Sätzen dazu). Wie man sieht, ich habe kein Problem das Wort 'denken' auf etwas anzuwenden, das keinen ausdrücklichen Satz zum Inhalt hat. (Auch das ist natürlich nicht auf meinem Mist gewachsen. Es wird berichtet, dass der italienische Denker Piero Sraffa Wittgenstein seine Obsession mit Satzstrukturen ausgetrieben hat, indem er ihn aufforderte eine typische italienische Geste in ihre grammatischen Bestandteile zu zerlegen).

Wie ich den Einwand verstehe, wäre damit die Sorge, die ihm Leben gibt, ausgeräumt. 

Es bleibt uns nun, glaube ich, als nächstes der nahe liegende Einwand, dass 'denken' eben einen psychologischen Akt meint, der prinzipiell nicht erfassbar ist, z.B. durch Introspektion.Die Bedeutung dieses Einwandes für die Frage, um die es hier für uns geht, mag mit unseren Beobachtungen bis hierher auch etwas geschrumpft sein. Aber insgesamt ist es ein wichtiges Missverständnis, dem wir auch versuchen sollten den Wind aus den Segeln zu nehmen.



DE 0008 Sprache und Denken

# DE 0008

Der erste Einwand wirft Wittgenstein hauptsächlich vor, dass er keine "saubere Abhandlung" zum Verhältnis von Sprache und Denken liefert.

Dieser Einwand mag nun zum Teil aus meiner Auswahl des Zitats geboren sein. Wittgenstein hat noch vieles andere zu dieser Frage zu sagen, vorher und nachher. Zum Beispiel, fast auf der selben Seite, sagt er im § 332:

332. 'Denken' nennen wir wohl manchmal, den Satz mit einem seelischen Vorgang begleiten, aber 'Gedanke' nennen wir nicht jene Begleitung. - Sprich einen Satz und denke ihn; sprich ihn mit Verständnis! - Und nun sprich ihn nicht, und tue nur das, womit du ihn beim verständnisvollen Sprechen begleitet hast! - (Sing dies Lied mit Ausdruck! Und nun sing es nicht, aber wiederhole den Ausdruck! - Und man könnte auch hier etwas wiederholen; z.B. Schwingungen des Körpers, langsameres und schnelleres Atmen, etc.).

oder

334. "Du wolltest eigentlich sagen ...." - Mit dieser Redeweise leiten wir jemand von einer Ausdrucksform zu einer anderen. Man ist versucht, das Bild zu gebrauchen: das, was er eigentlich 'sagen wollte', war er 'meinte', sei, noch ehe wir es aussprachen, in seinem Geist vorhanden gewesen. Was uns dazu bewegt, einen Ausdruck aufzugeben und an seiner Stelle einen anderen anzunehmen, kann von mannigfacher Art sein. Das zu verstehen, ist es nützlich, das Verhältnis zu betrachten, in welchem Lösungen mathematischer Probleme zum Anlass und Ursprung ihrer Fragestellung stehen. Der Begriff 'Dreiteilung des Winkels mit Lineal und Zirkel', wenn einer nach der Dreiteilung sucht, und anderseits, wenn bewiesen ist, dass es sie nicht gibt.

Es gibt viele andere Beispiele. Aus allen zusammengenommen wird aber nie eine "saubere Abhandlung", da hat der Einwand schon ins Schwarze getroffen. Was eine saubere Abhandlung tut ist, im Prinzip, eine Hypothese vorzuschlagen, mit deren Hilfe man in der Wissenschaft typischerweise natürliche Phänomene erklärt. Zum Beispiel, welche Axonen in meinem Broca Areal aktiviert werden, wenn ich das Wort 'Wittgenstein' sage.

Aber Wittgenstein hat ein anderes Ziel: er überlässt das Aufstellen von Thesen über die Wirklichkeit der Wissenschaft, und sieht seine Aufgabe darin, unsere philosophisch motivierten Verblüffungen aufzulösen, indem er zeigt, dass sie zumeist darauf beruhen, dass wir Missbrauch mit der Sprache betreiben. Deshalb gibt es für ihn keine philosophischen Thesen: Man kann nur nach und nach Verständnis dafür erzielen, dass wir beim Versuch philosophische Thesen aufzustellen die sprachlichen Ausdrücke in einer Weise verwenden, die vom normalen Sprachgebrauch nicht sanktioniert wird, und somit ihre Bedeutung nicht mehr unter Kontrolle haben: wir verstehen recht eigentlich nicht, was wir sagen. Wir verlieren, sozusagen, den Boden unter den Füßen, auf dem wir fest zu stehen meinten.

Es geht nicht nur den Philosophen so, dass sie sich in ihren eigenen Thesen verwirren, weil sie sich von sprachlichen Bildern verführen lassen, die sich beim näheren Hinsehen als Chimären erweisen. Das passiert oft auch den Wissenschaftlern, wenn sie versuchen populäre Erklärungen ihrer in wissenschaftlicher Sprache abgefassten Theorien zu geben. Berühmte Beispiele dafür sind meiner Meinung nach Stephen B. Hawkings A Brief History of Time oder Francis Cricks The Astonishing Hypothesis, die populärwissenschaftlichen Bücher von Richard Dawkins im allgemeinen oder alle jene, in denen er seine atheistische Religion zu verbreiten sucht , usw. Die Liste kann man ziemlich lange fortsetzen.

Auf die Gefahr hin, mehr Missverständnisse als Einsichten zu produzieren, werde ich zwei berühmte Textstellen zitieren, in denen Wittgenstein Andeutungen macht in der Richtung, die ich in den letzten Absätzen kurz beschreiben wollte:

309. Was ist dein Ziel in der Philosophie? - Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen.

In gewisser Weise, als Vorbereitung für den Text den ich eigentlich zitieren will, zunächst Teile von § 107 und 108. Hier nimmt Wittgenstein unter anderem die Auffassung unter die Lupe, dass Begriffe wie 'Satz', 'Sprache', usw. eine scharfe Grenze haben müssen - denn wie sollte man sonst definieren, was diese Worte bezeichnen?

107. Je genauer wir die tatsächliche Sprache betrachten, desto stärker wird der Widerstreit zwischen ihr und unserer Forderung [Der Satz, das Wort, von dem die Logik handelt, soll etwas Reines und Scharfgeschnittenes sein; § 105]. (Die Kristallreinheit der Logik hatte sich mir ja nicht ergeben; sondern sie war eine Forderung.) [...]

108. Wir erkennen, dass, was wir 'Satz', 'Sprache', nennen, nicht die formelle Einheit ist, die ich mir vorstellte, sondern die Familie mehr oder weniger miteinander verwandter Gebilde. - Was aber wird aus der Logik? Ihre Strenge scheint hier aus dem Leim zu gehen. [...]

Die Philosophie der Logik redet in keinem anderen Sinn von Sätzen und Wörtern, als wir es im gewöhnlichen Leben tun, [...]

Wir reden von dem räumlichen und zeitlichen Phänomen der Sprache; nicht von einem unräumlichen und unzeitlichen Unding. [...] Aber wir reden von ihr so, wie von den Figuren des Schachspiels, indem wir Spielregeln für sie angeben, nicht ihre physikalischen Eigenschaften beschreiben.

Die Frage "Was ist eigentlich ein Wort?" ist analog der "Was ist eine Schachfigur?"

Und nun das Ziel dieser vorbereitenden Bemerkungen:

109. Richtig war, dass unsere Betrachtungen nicht wissenschaftliche Betrachtungen sein durften. [...] Und wir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unseren Betrachtungen sein. Alle Erklärung muss fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten. Und diese Beschreibung empfängt ihr Licht, d. i. ihren Zweck, von den philosophischen Problemen. Diese sind freilich keine empirischen, sondern sie werden durch eine Einsicht in das Arbeiten unserer Sprache gelöst, und zwar so, dass dieses erkannt wird: entgegen einem Trieb, es misszuverstehen. Diese Probleme werden gelöst, nicht durch Beibringen neuer Erfahrung, sondern durch Zusammenstellung des längst Bekannten. Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.

Ich denke es ist nun jedenfalls klar, dass Wittgenstein von dem Vorwurf, keine saubere [theoretische] Abhandlung über den Zusammenhang von Sprache und Denken vorzulegen, nicht betroffen fühlen würde. Es gibt keine theoretischen Schlüsse hier, weder in der einen, noch in der anderen Richtung. Ich glaube, den Rest des Einwandes können wir von der Kritik an Wittgenstein loslösen und versuchen ihn im Rahmen unserer allgemeinen Überlegungen einer Lösung zuzuführen.



Wednesday, May 11, 2016

DE 0007 Sprache und Denken

# DE 0007

Dass das Zeitwort 'denken' einen inneren, im Grunde unfassbaren Vorgang bezeichnen soll, ist eines jener tief sitzenden Vorurteile, von denen Wittgenstein spricht, die keine dummen Vorurteile sind. Jedenfalls gibt es einen ganzen Zweig der Philosophie, der auf diesem und ähnlichen Vorurteilen aufbaut, und auch wenn ich persönlich glaube, dass er für eine unglückliche Entwicklung der westlichen Philosophie steht, da sie über Stufen überwunden geglaubter Verwirrungen klettert, kann ich sie doch nicht ignorieren. Der Engländer Peter Hacker, ein berühmter Wittgenstein-Gelehrter, und Maxwell Bennett, ein australischer Neurowissenschafter  haben ein dickes Buch geschrieben um diese Art von Vorurteil in den Neurowissenschaften zu untergraben; mir gefällt der Diskussionsstil der beiden nicht, aber vieles von dem, was sie sagen, trifft meiner Meinung nach den Nagel auf den Kopf.

Da es sich um ein tiefes und nicht dummes Vorurteil handelt, gibt es kein einfaches und kurzes Argument um es auszuräumen. Ich werde wohl auch auf die eine oder andere Idee aus dem erwähnten Buch zurückgreifen: Philosophical Foundations of Neuroscience; M. R. Bennett and P. M. S. Hacker; Blackwell Publishing; Malden, USA; Oxford, UK; Carlton, Australia; 2003.

* * * * *

Bevor wir in dieser Richtung fortschreiten können, müssen wir allerdings ein paar neue Einwendungen zu Antworten bedienen, die wir zu früheren Fragen gegeben haben. Diese Einwendungen beziehen sich allerdings nicht auf etwas was ich geschrieben habe, sondern auf die Textstellen von Wittgenstein, die ich zitiert habe.

Meine philosophische Überzeugungen kann ich zu einem ganz großen Teil auf Dinge zurückführen, die ich bei Wittgenstein gelesen habe, oder beim Studium von Kommentaren zu Wittgenstein. Wenn ich Wittgenstein hier zitiert habe, dann nicht so sehr weil ich mich direkt auf Aussagen von ihm für mein Argument stützen wollte, sondern weil ich den Eindruck vermeiden wollte, dass, was ich sage, auf meinem Mist gewachsen ist. Ich bin kein besonders origineller Denker.

Wittgenstein ist ein sehr schwieriger Autor, den man sehr, sehr leicht missversteht; zumal wenn man nur ein Schnipsel von seinem Text vorgesetzt bekommt. Und auch, wenn man ihn gründlich studiert, nehmen die Missverständnisse kein Ende; bei berühmten Denkern, und bei Studenten erst recht. Ein Prinzip, das Wittgenstein bei der Abfassung seiner Texte eingehalten zu haben scheint, lautet: "Man darf dem Leser das Denken nicht ersparen [wollen]." Wittgenstein versteht, was er sagt, hauptsächlich als Anregung zum Selberdenken, nicht als weitläufige Beschreibung, die man einfach nur hinunterzuschlucken braucht.

Auf der anderen Seite, jedoch, konnte ich letztendlich der Verführung nicht widerstehen, den Versuch zu machen ein Stückchen Text von Wittgenstein ein bisschen zu kommentieren, für jemanden, der sich nicht so lange wie ich mit seinen Schriften beschäftigt hat. Wie weit das von Erfolg gekrönt sein kann, ist eine andere Frage.

Die Einwände, die wir auszuräumen haben, sind mehr oder weniger wörtlich die folgenden:

"Bei den Antworten (zumindest in den zitierten Auszügen) schwindelt [Wittgenstein] sich ... um eine saubere Abhandlung herum. Er benennt Denkprozesse aus denen sprachliche Formulierungen entstehen als "Absicht" , "Sprechenwollen" oder "Vorstellung des Redens" und folgert aus der Tatsache, dass dies "Sprechen können" voraussetzt, dass diese Denkprozesse ausschließlich sprachbezogen sind ... sehr dürftig!

Ich möchte ... gar nicht bestreiten, dass alles Denken rund um das Verarbeiten und Erzeugen sprachlicher Inhalte (z.B. weil ich mich mitteilen oder mit einem Mitmenschen sprachlich austauschen will)  mehr oder weniger mit der jeweiligen Sprache in enger Verbindung steht.
Nur kann man doch aus dieser Verbindung nicht den Umkehrschluss ziehen und behaupten, dass alles Denken in enger Verbindung mit Sprache stehen muss - oder?
Ein ähnlich falscher Umkehrschluss wäre z.B. ... wenn ich keine sprachlichen Inhalten denke, denke ich nicht .. das wäre eine fundamentale Einschränkung des Begriffs Denken die - wie schon einmal gesagt - mit meinem Begriff Denken nicht viel zu tun hätte."

Unser nächster Beitrag wird also versuchen auf diese Einwendungen einzugehen, nicht so sehr, wie schon angedeutet, um in unserer Diskussion der ursprünglich aufgeworfenen Fragen weiterzukommen - obwohl das vielleicht auch dazu beitragen mag - sondern eher um ein besseres Verständnis des einen oder anderen Aspekts von Wittgensteins Philosophie zu schaffen. Man wird mir dabei vieles einfach glauben müssen, denn die Textstelle ist sehr kurz und begrenzt in dem, was sie für unser allgemeines Verständnis hergeben mag.


DE 0006 Sprache und Denken

# DE 0006

Die Frage war also: "Wie kann es sein, dass das Denken von der Sprache abhängt, wenn wir doch ständig erleben, dass wir eine unklare Idee von etwas haben können, für die wir die genaue sprachliche Formulierung erst suchen müssen. Ist das nicht ein klarer Beweis dafür, dass wir Gedanken ohne Sprache haben können, und dass vielmehr die Sprache von den Gedanken abhängt?"

Die kurze Antwort darauf ist, wie hoffentlich aus dem bis hierher gesagt relativ leicht einzusehen ist, dass die beiden Gedanken sich nicht widersprechen. Die Sprache ist Bedingung dafür, möchte man sagen, dass wir gewisse (noch nicht fertig formulierte) Ideen überhaupt haben können. Ohne die Institution der Geburtstagsfeier kann ich nicht in die Verlegenheit kommen, die richtigen Worte auf einer Geburtstagskarte suchen zu müssen. Es braucht eine ganze Reihe höchst komplizierter sozialer Einrichtungen, damit es Geburtstage und Geburtstagsfeiern geben kann - und in den allermeisten von ihnen spielt die Sprache eine vitale Rolle; nicht als Bedingung die vor der Möglichkeit existiert, aber als nicht wegdenkbarer Teil davon.

Ich kann nichts denken, von dem ich keinen Begriff habe (aber ich kann natürlich alte Begriffe zu neuen Begriffen z.B. kombinieren). Und die Begriffe, die wir haben, sind mit regelmäßigen menschlichen Tätigkeiten verknüpft, in denen die Sprache eine wesentliche Rolle spielt. Die Rolle, die die Sprache in diesen Tätigkeiten spielt, kann ganz verschieden sein; manchmal tritt sie nur als Beschreibung der Tätigkeit auf, manchmal ist sie selbst ein vitaler Teil davon, wie zum Beispiel bei einem Befehl. Aber irgendwie kommt die Sprache so gut wie immer dabei vor.

Es ist auf diese Weise, dass Handeln, Sprechen und Denken miteinander vital verknüpft sind. Dass wir manchmal um ein geeignetes Wort erst ringen müssen, steht bei genauerer Betrachtung in keinem Widerspruch zu dieser fundamentalen Verknüpfung; es ist vielmehr klar, dass es dieser fundamentalen Verknüpfung bedarf, damit ich überhaupt in die Lage kommen kann, nach geeigneten Worten suchen zu müssen. Und diese vitale Verknüpfung besteht für mich deshalb, weil ich ein Mensch bin, der in einer (Sprach- und Denk)-Gemeinde aufgewachsen ist. (Auf die Frage "wie weißt Du, dass das rot ist?" ist für Wittgenstein die natürlichste Antwort: "weil ich deutsch kann.")

Ich will mal annehmen, dass dies auf keinen Widerspruch stößt, aber natürlich sind damit noch nicht alle aufgeworfenen Fragen beantwortet. So bleibt zum Beispiel der Einwand:

"Aber Denken ist doch eine psychologische Tätigkeit, eben dieser geheimnisvolle Vorgang, der mich die richtigen Worte finden lässt. Darauf gibt doch das Geschwafel da oben keine Antwort!"

Mal sehen, was mir dazu einfällt.


Tuesday, May 10, 2016

DE 0005 Sprache und Denken

# DE 0005

Es ist vom Prinzip her ziemlich einfach ein philosophisches Problem zu lösen: Man braucht nur zu zeigen, dass es kein Problem ist. In der Praxis ist es dann freilich meistens sehr schwierig, das erfolgreich umzusetzen. Ich will mein Glück zunächst mit dem zuletzt aufgezeigten Problem versuchen: Wie kann das Denken von der Sprache abhängig sein, wenn wir ohne Zugriff auf sprachliche Mittel den richtigen sprachlichen Ausdruck für einen noch nicht sprachlich ausgedrückten Gedanken finden können?

Ich denke, wir können in diesem Fall, wie so oft, das Problem zum Verschwinden bringen, indem wir genauer zusehen, womit wir es hier wirklich zu tun haben, und uns nicht von sprachlichen Analogien verführen lassen, die die wahren Verhältnisse verschleiern oder verzerren.

Wie wir den richtigen Ausdruck, die richtige Harmonie, den nächsten Schritt im Beweis finden, ist nichts, was wir bewusst oder in der Sprache nachvollziehen können. Es ist ein tiefes Geheimnis, wie wir das machen. Dieser geheimnisvolle Vorgang soll nun sein, was das Wort 'denken' eigentlich bezeichnet.

Wittgenstein behandelt unsere Frage ziemlich wörtlich in § 335 und den folgenden in Philosophische Untersuchungen. Ich werde mir nun erlauben ihn zu zitieren, auch wenn das Zitat, so aus dem Zusammenhang gerissen, wahrscheinlich nicht ganz leicht zu verstehen ist:

335. Was geschieht, wenn wir uns bemühen - etwa beim Schreiben eines Briefes - den richtigen Ausdruck für unsere Gedanken zu finden? - Diese Redeweise vergleicht den Vorgang dem einer Übersetzung, oder Beschreibung: Die Gedanken sind da (etwa schon vorher), und wir suchen nur noch nach ihrem Ausdruck. Dieses Bild trifft für verschiedene Fälle mehr oder weniger zu. - Aber was kann hier nicht alles geschehen? - Ich gebe mich einer Stimmung hin, und der Ausdruck kommt. Oder: es schwebt mir ein Bild vor, das ich zu beschreiben trachte. Oder: es fiel mir ein englischer Ausdruck ein, und ich will mich auf den entsprechenden deutschen besinnen. Oder: ich mache eine Gebärde, und frage mich: "Welches sind die Worte, die dieser Gebärde entsprechen?" Etc.

Wenn man nun fragte "Hast du den Gedanken, ehe du den Ausdruck hattest?" - was müsste man da antworten? Und was auf die Frage: "Worin bestand der Gedanke, wie er vor dem Ausdruck vorhanden war?"

[...]

337. Aber habe ich nicht die Gesamtform des Satzes, z.B., schon an seinem Anfang beabsichtigt? Also war er mir doch schon im Geiste, ehe er noch ausgesprochen war! - Wenn er mir im Geiste war, dann, im allgemeinen, nicht mit anderer Wortstellung. Aber wir machen uns hier wieder ein irreführendes Bild vom 'Beabsichtigen'; d.h., vom Gebrauch dieses Worts. Die Absicht ist eingebettet in der Situation, den menschlichen Gepflogenheiten und Institutionen. Gäbe es nicht die Technik des Schachspiels, so könnte ich nicht beabsichtigen, eine Schachpartie zu spielen. Soweit ich die Satzform im voraus beabsichtigte, ist dies dadurch ermöglicht, dass ich deutsch sprechen kann.

338. Man kann doch nur etwas sagen, wenn man sprechen gelernt hat. Wer also etwas sagen will, muss dazu auch gelernt haben, eine Sprache zu beherrschen; und doch ist klar, dass er beim Sprechenwollen nicht sprechen musste. Wie er auch beim Tanzenwollen nicht tanzt.

Und wenn man darüber nachdenkt, so greift der Geist nach der Vorstellung des Tanzens, Redens, etc.

339. Denken ist kein unkörperlicher Vorgang, der dem Reden Leben und Sinn leiht, und den man vom Reden ablösen könnte, gleichsam wie der Böse den Schatten Schlemihls vom Boden abnimmt. - Aber wie: "kein unkörperlicher Vorgang"? Kenne ich also unkörperliche Vorgänge, das Denken aber ist nicht einer von ihnen? Nein; das Wort "unkörperlicher Vorgang" nahm ich mir zu Hilfe, in meiner Verlegenheit, da ich die Bedeutung des Wortes "denken" auf primitive Weise erklären wollte.

Man könnte aber sagen "Denken ist ein unkörperlicher Vorgang", wenn man dadurch die Grammatik des Wortes "denken" von der des Wortes "essen" z.B., unterscheiden will. Nur erscheint der Unterschied der Bedeutung zu gering. (Ähnlich ist es, wenn man sagt: die Zahlzeichen seien wirkliche, die Zahlen nicht-wirkliche Gegenstände.) Eine unpassende Ausdrucksweise ist ein sicheres Mittel, in einer Verwirrung stecken zu bleiben. Sie verriegelt gleichsam den Ausweg aus ihr.

340. Wie ein Wort funktioniert, kann man nicht erraten. Man muss seine Anwendung ansehen und daraus lernen.

Die Schwierigkeit aber ist, das Vorurteil zu beseitigen, das diesem Lernen entgegensteht. Es ist kein dummes Vorurteil.

Und noch ein kurzes das hierher passt:

383. Wir analysieren nicht ein Phänomen (z. B. das Denken), sondern einen Begriff (z.B. des Denkens) und also die Anwendung eines Worts. So kann es scheinen, als wäre, was wir treiben, Nominalismus. Nominalisten machen den Fehler, dass sie alle Wörter als Namen deuten, also ihre Verwendung nicht wirklich beschreiben, sondern sozusagen nur eine papierene Anweisung auf so eine Beschreibung geben.

384. Den Begriff  'Schmerz' hast du mit der Sprache gelernt.

[Die Rechtsschreibung in den Zitaten ist an die moderne Rechtschreibung angepasst.]

Diese Zitate, und überhaupt das Argument in dem heutigen Beitrag, nehmen eine Hypothek auf die Antwort, die ich zum ersten Problem zu geben verspreche, um das zweite Problem aufzulösen, wenn man vielleicht auch schon ahnt, wie die Behandlung des ersten Problems aussehen wird. Das heißt, man muss mir hier glauben, dass unsere Fähigkeit zu denken wesentlich zusammenhängt mit unserer Fähigkeit zu sprechen; jedenfalls konzentriere ich mich hier auf das andere Problem: "Denken ist ein geheimnisvoller Vorgang". Ich denke die obigen Zitate haben weitgehend die Bühne vorbereitet dafür, was als nächstes kommen muss - ich muss nur noch die Fäden zusammenführen; oder jedenfalls hoffe ich das.

Monday, May 9, 2016

DE 0004 Sprache und Denken

DE 0004

Ich will mich nicht dazu äußern, ob das Bild, das ich in meinem letzten Beitrag versucht habe zu zeichnen, richtig oder falsch ist. Bei so einem Bild kommt es mehr darauf an, was man damit macht. Und wenn man mit seiner Hilfe versucht den Zusammenhang von Sprache und Denken zu verstehen, ist die Frage, die wir beantworten müssen, ob dieses Bild dabei hilfreich ist.

Ein erstes Problem, will mir scheinen, besteht darin, dass das Bild den Eindruck nahe legt, dass das, was das Zeitwort 'denken' bezeichnet, eine bestimmte Tätigkeit ist, so ähnlich wie 'laufen' oder 'eine Weinflasche entkorken'. Es ist freilich so, dass wir die Fähigkeit zu laufen mit den Tieren teilen, und die Fähigkeit eine Weinflasche zu entkorken kann man mit Sicherheit zur Not einem Bonobo beibringen. Warum sollte es beim Denken anders sein? - ich meine, anders zum Beispiel, als mit dem Laufen.

Es liegt nahe den Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit damit zu erklären, dass die Sprache sich aus Zeichen zusammensetzt, die für Dinge in der Wirklichkeit stehen. 'Weinflasche' steht für eine Weinflasche, und 'entkorken' für die Tätigkeit den Korken aus der Weinflasche zu ziehen. Dann steht eben 'denken' auch für eine bestimmte, mehr oder weniger fest umrissene Tätigkeit, die allerdings nicht sichtbar ist, sondern vielleicht im Kopf der jeweils denkenden Person abläuft. Wenn das so ist, dann kann man sie vielleicht sogar indirekt sichtbar machen, so ähnlich wie wir die subatomaren Teilchen aufgrund ihrer Dampfspuren im Teilchenbeschleuniger indirekt sichtbar machen: durch messbare elektromagnetische Ströme im Zentralnervensystem.

Den ersten Teil dieses Bildes finden wir übrigens z.B. im Tractatus als sogenannte Bildertheorie der Sprache, nach der die Elementarsätze logische Abbilder der Beziehung zwischen den in den Sachverhalten logisch verknüpften Gegenständen sind - wenn man davon absieht, dass Weinflaschen und Korken keine Gegenstände im Sinne des Tractatus sind, zumal sie nicht einfach in seinem Sinn sind. Und natürlich zitiert Wittgenstein in Philosophische Untersuchungen gleich am Anfang den heiligen Augustinus mit einer ähnlichen Sprachtheorie. Mit dem zweiten Teil könnten sich wenigstens ungefähr manche Proponenten der Philosophie des Geistes identifizieren.

Bevor ich nun hier fortsetze, muss ich das im letzten Beitrag gezeichnete Bild ergänzen. Was die Ablehnung der Idee, dass das Denken wesentlich auf der menschlichen Sprache beruht, auch noch motiviert, ist zusätzlich die Beobachtung, dass das Denken ein psychologischer Vorgang ist, der sprachlos ablaufen muss, da sonst nicht zu erklären wäre, dass wir manchmal wissen, was wir sagen wollen, aber den richtigen sprachlichen Ausdruck dafür nicht finden. Da ich mit minderer oder größerer Frequenz an Migräne leide, kann ich ein Lied davon singen, das über die Erfahrung kämpfender Aufsatzschreiber hinausgeht: ich weiß dann häufig ganz genau, was ich sagen will, aber das Nervensystem, das den Wunsch mit seiner Ausführung verbinden sollte, ist dann manchmal lahmgelegt. Ich kann dann nicht einmal sagen, dass ich wegen meiner Migräne nicht sprechen kann, so sehr ich gelegentlich ziemlich verzweifelt versucht habe, genau das zu tun  (was mir erspart in eine Art von Lügnerparadox zu verfallen). Es geht aber bei dem Einwand in Wahrheit nicht um eine quasi mechanische Verhinderung, sondern um das Erfassen eines schöpferischen Aktes, in dem wir z. B. die richtigen Worte für ein Gedicht suchen oder eine Harmonie für eine Komposition; oder den Beweis einer mathematischen Theorie: keiner dieser schöpferischen Vorgänge läuft nach einer Formel ab. Wie immer der Zusammenhang zwischen Denken und Sprache sein mag, wir können nicht, z.B. durch Selbstbeobachtung entdecken, wie wir das richtige Wort, die richtige Harmonie, oder den mathematischen Beweis finden.

Im Moment ist das Problem, dem wir uns zu stellen haben, größer geworden. Ich hoffe wir können es in den nächsten paar Beiträgen nach und nach zum Verschwinden bringen.

DE 0003 Sprache und Denken

DE 0003

Sprache und Denken

Ich hatte vor kurzem eine unglückliche Diskussion über den Zusammenhang von Sprache und Denken, genauer, über die Frage, ob und inwiefern das Denken vom Sprechen abhängt. Unglücklich deshalb, weil es mir in der Diskussion nicht gelungen ist, die Sorge meines Gesprächspartners zu identifizieren, die ihn veranlasst den Standpunkt als absurd abzutun, dass das Denken von der Sprache abhänge.

Ich werde also zunächst einmal versuchen zu erraten, aus dem was ich von der Diskussion erinnere und ansonsten mit Hilfe von Spekulationen, was meinen lieben Kontrahenten zu diesem Standpunkt führt.

Wenn ich den Standpunkt richtig verstehe, dann geht es im wesentlichen darum, dass die Sprache als im evolutiven Sinn späte Erwerbung der Art Mensch gesehen wird, die uns in ihrer Sophistikation von anderen Tierarten unterscheidet, während wir viele andere Charakteristika besonders mit uns evolutiv nahe stehenden Tierarten teilen, namentlich mit den Säugetieren. Eine dieser Charakteristika ist die Kapazität in einer Weise zu denken, die eben nicht von der Sprache abhängt; zum Beispiel, dass man (wenn man ein Hund ist) gegen einen oder zwei kleinere Hunde zum Angriff übergehen kann, dass man aber gegen ein Rudel von Hunden die Flucht ergreift [dieses Beispiel kopiere ich ungefähr von Michael Dummett's Origins of Analytical Philosophy, Harvard University Press; Cambridge, Mass.; 1996].

Gegenüber dieser grundsätzlichen Kapazität erscheint die sprachliche Kommunikation im menschlichen Sinn als etwas oberflächliches, als rein kulturelles Gut, das dem grundsätzlichen, instinktiven und auch reflexiven Verhalten, das wir mit anderen Säugetieren teilen, aufgepfropft ist, und keinen substantiellen evolutiven Unterschied macht.

In diesem Sinn ist das menschliche Handeln sehr viel mehr durch "primitive" Instinkte geprägt und das kulturelle Verhalten, zu dem auch die Sprache gehört, sitzt an der Oberfläche und wird leicht abgeschüttelt, wie man ja (manchmal zu unserem Entsetzen) in Extremsituationen oft beobachten muss.

Ich bin ein sehr einseitig gebildeter philosophischer Arbeiter und kann keinen bekannten Denker mit einer solchen Position identifizieren; es wäre aber erstaunlich, wenn es keinen gäbe. Wie immer es sich damit verhalten mag, ich will im nächsten Beitrag versuchen mich mit dieser Position auseinanderzusetzen. Mit etwas Glück, hören wir inzwischen ob ich die Position meines Gesprächspartners einigermaßen treffend wiedergegeben habe.