Tuesday, May 31, 2016

DE 0023 Sprache und Denken. Zusammenfassung (ii)

# DE 0023

Ich will ein paar Worte zum ersten Punkt des letzten Kommentars verlieren. Ich habe in dieser ganzen Serie mehr oder weniger so getan, als stünden sich in der Frage um den Zusammenhang von Denken und Sprache die folgenden zwei Haltungen gegenüber: auf der einen Seite der Kontroverse steht demnach eine Gruppe von Theoretikern, die die Sprache als Ausdruck von Gedanken verstehen, wobei die Gedanken hauptsächlich als Produkt der Aktivität unseres Zentralnervensystems gesehen werden, die möglicherweise ein von der Sprache unabhängiges Medium darstellen, das manchmal Mentalese genannt wird - mir fällt kein deutscher Ausdruck dafür ein. Auf der anderen Seite haben wir einen von Wittgenstein beeinflussten Gesichtspunkt, der auf dem Standpunkt steht, dass der Frage, ob Gedanken sprachliche Konstrukte sind, und es in diesem Sinn ohne Sprache keine Gedanken geben könne, ein ungeeignetes Bild zugrunde liegt, und dass der Versuch eine semantische Theorie aufzustellen, die den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken in diesem Sinn zu klären versucht, aus diesem Grund zum Scheitern verurteilt ist: Die Frage macht so keinen Sinn. Die Einzelheiten dieser Diskussion haben uns nun eine Zeit lang in Atem gehalten.

Es ist nun aber so, dass in gewisser Weise das ganze XX. Jahrhundert von philosophischen Reflexionen um die Rolle der Sprache in unserem Leben (in unserem Denken, Wissen, Forschen, usw.) geprägt war, so sehr, dass man von einer "sprachlichen Wende" in der Philosophie spricht, die häufig mit dem philosophischen Werk von Gottlob Frege, Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein identifiziert wird, aus dem dann wenigstens ein wichtiger Aspekt der analytischen Philosophie hervorgegangen ist. Das Herangehen der analytischen Philosophie an die Frage über den Zusammenhang von Denken, Sprache und Wirklichkeit ist aber von völlig anderen Gesichtspunkten geleitet, als die Theorien der Geistesphilosophie, die wir im vorigen Absatz karikiert haben. Die Antworten, die im Rahmen der analytischen Philosophie auf diese Fragengruppe vorgeschlagen werden, unterscheiden sich sehr untereinander. So sehr, dass auch die Frage berechtigt ist, ob das Herangehen an die sprachtheoretischen Fragen in der Lage ist, die analytische Philosophie als solche zu charakterisieren.

Ungefähr gleichzeitig mit den Wurzeln der analytischen Philosophie ist auch die Phänomenologie entstanden (Dummett schließt das Werk ihres Begründers, Edmund Husserl, als eine der "kontinentalen" Wurzeln in die Ursprünge der analytischen Philosophie ein), aus der schließlich die Hermeneutik hervorgegangen ist, die ebenfalls um die Frage der Rolle der Sprache in unserem Leben kreist, und deren Herangehen weder mit der Geistesphilosophie (in obigem Sinn) noch mit der analytischen Philosophie in Einklang zu bringen ist.

Ich erwähne das alles um den Eindruck zu vermeiden, dass wir in unserer Diskussion hier die Frage wenigstens in ihren wichtigsten Aspekten ausreichend behandelt haben. Das haben wir natürlich nicht - mehr als 100 Jahre Sprachphilosophie können wir nicht in ein paar Kommentaren erledigen. Ich hoffe aber, wir haben wenigstens Verständnis für die Komplikationen der Frage geschaffen, und dass einige unserer Vorurteile, die uns ein bestimmtes Bild des Zusammenhangs zwischen Sprache und Denken aufdrängen, uns daran hindern die richtigen Fragen zu stellen, und deshalb besser aufgegeben werden sollten.

2 comments:

  1. Mentalese könnte man einfach mit "Mentalesisch" übersetzen.

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  2. Ja, ich denke Du hast recht. Ich habe das wohl nicht gesehen, weil es ja nicht Mentalphilosophie, sondern Geistesphilosophie heißt. Ich werde alt.

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