Tuesday, May 17, 2016

DE 0013 Sprache und Denken

# DE 0013

Bennett und Hacker hatten in dem Abschnitt, den wir letztens versucht haben zusammenzufassen, ein spezifisches Bild vor Augen, das es zu untergraben galt: Die Identifizierung von Denken mit einem messbaren physikalischen Vorgang im Zentralnervensystem. Das war nicht ganz unser Ziel. Wir wollten untersuchen, ob wir unter denken jenen mysteriösen Vorgang verstehen können, vielleicht nicht ausschließlich, aber auch, der abläuft bevor es soweit kommt, dass wir etwas in Sprache fassen.

Wenn die beiden Autoren recht haben mit ihrer Behauptung, dann ist jedoch auch für unsere Frage klar, dass wir denken nicht mit so einem Vorgang gleichsetzen können, auch nicht als Teilbegriff von denken. Denken, sagen sie, ist nicht etwas, was im Hirn, und auch nicht etwas, was mit dem Hirn geschieht, in keiner der vielen verschiedenen Bedeutungen, die 'denken' annehmen mag. Auch nicht, wenn wir uns bei 'denken' Le Penseur von Rodin vorstellen, also etwas, was anscheinend ohne irgend eine äußere Aktivität abläuft (was natürlich nicht ganz richtig ist, sonst hätte Rodin keine Statue machen können, der man ansieht, dass sie einen Denker darstellt). Eine ganz schön starke Behauptung!

Das Argument scheint einzig und allein auf grammatikalischen Beobachtungen zu beruhen: auf der Grammatik von Wörtern wie 'denken' und 'Gedanke'. Wie können solche Beobachtungen ausschlaggebend sein dafür, was die Wissenschaft entdecken kann (oder in unserem Fall: für meinen Begriff von denken)? Denn das Argument bedeutet ja, dass die Neurophysiologen zwar feststellen können, welche neuronalen Aktivitäten mit gewissen gedanklichen Aktivitäten einhergehen, aber sie können angeblich diese gedanklichen Aktivitäten nicht als durch die entsprechenden neuronalen Aktivitäten definiert verstehen. Und der Grund dafür soll einzig und allein sein, wie wir in unserem normalen Sprachgebrauch Wörter wie 'denken' und 'Gedanke' verwenden. Haben die Wissenschaftler nicht immer schon Wörter bei der Konstruktion ihrer Hypthesen und Theorien in einem speziellen Sinn verwendet? Und wenn ich unter denken einen geheimnisvollen Vorgang verstehe, kann mir eine Untersuchung der Grammatik vorschreiben, dass ich das nicht darf?

Ich will nicht allzu viel virtuelle Tinte darauf verschwenden, die Frage für den Fall der Wissenschaft zu behandeln. Natürlich hat die Wissenschaft schon immer Wörter aus der Umgangssprache entlehnt und ihr eine beschränkte oder ganz andere Bedeutung gegeben. Aber dann spricht die Wissenschaft eben nicht von dem Gegenstand, Phänomen, oder was immer, das wir im normalen Sprachgebrauch darunter meinen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Wasser = H2O, aber das stimmt mit unserer normalen Verwendung des Wortes 'Wasser' keineswegs überein. Wir gehen weder in H2O schwimmen, auch nicht in verunreinigtem H2O, sondern eben in Wasser; noch können wir H2O trinken, noch fahren unsere Ozeanriesen in H2O. H2O existiert allenfalls im Laboratorium. Wir leben mit dieser Zwiespältigkeit, weil wir die Formeln für "chemisch reines Wasser" oder "chemisch reine Schwefelsäure" sehr bald in der Schule lernen.

Die amerikanischen Philosophen Saul Kripke und, jedenfalls während einer Periode seiner intellektuellen Entwicklung, Hilary Putnam haben eine Theorie vertreten, nach denen Wörter wie Wasser und Gold in der Tat natürliche Arten bezeichnen, so dass wir die wahre Bedeutung nur kennen, wenn wir Experten in Chemie oder in Metallurgie sind. Alle anderen Menschen verwenden solche Wörter ohne eigentlich zu wissen wovon sie reden. Die beiden sind ernste und berühmte Philosophen, so dass ich nicht hoffen kann ihre Theorie mit einer Handbewegung abzutun. Aber ich will nicht verheimlichen, dass ich das für ganz schön verrückt halte. Kurz gesagt, weil ich es für verrückt halte zu glauben, dass die Bedeutung der Wörter der Gegenstand ist, den sie bezeichnen, und weil ich es für verrückt halte vorzuschlagen, dass 99.9% der Menschen ihre Muttersprache nicht beherrschen. In dieser Theorie muss dann auch der Ausdruck "die Bedeutung eines Wortes verstehen" einen Sinn angenommen haben, der mit dem, was dieser Ausdruck eigentlich bedeutet, nichts zu tun hat. Die sprachlichen Ausdrücke bekommen ihre Bedeutung dadurch, dass wir sie in unserer normalen Sprache erfolgreich verwenden. Wenn wir das in 99.9% der Fälle nicht können, dann hört sich die Sprache auf. Damit ist der Vorschlag von Kripke und Putnam nicht erledigt, aber wir können hier auf seine weitere Behandlung verzichten, denke ich.

Wie ist es aber damit, dass ich unter denken eben etwas bestimmtes Geheimnisvolles verstehen möchte, das mir ganz sicher wenigstens "mitgemeint" vorkommt? Darum ging es uns ja eigentlich!

Der Beitrag ist schon lang genug. Ich komme im nächsten Beitrag darauf zu sprechen.

1 comment:

  1. Ich habe da oben im zweiten Absatz unterstellt, dass es sich bei diesem mysteriösen Vorgang um einen Vorgang handelt, der gleichzeitig in das von Bennett und Hacker gezeichnete Bild passt. Wenn das nicht gemeint ist, dann sind die diesbezüglichen Bemerkungen für unsere Frage belanglos.

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