Tuesday, May 10, 2016

DE 0005 Sprache und Denken

# DE 0005

Es ist vom Prinzip her ziemlich einfach ein philosophisches Problem zu lösen: Man braucht nur zu zeigen, dass es kein Problem ist. In der Praxis ist es dann freilich meistens sehr schwierig, das erfolgreich umzusetzen. Ich will mein Glück zunächst mit dem zuletzt aufgezeigten Problem versuchen: Wie kann das Denken von der Sprache abhängig sein, wenn wir ohne Zugriff auf sprachliche Mittel den richtigen sprachlichen Ausdruck für einen noch nicht sprachlich ausgedrückten Gedanken finden können?

Ich denke, wir können in diesem Fall, wie so oft, das Problem zum Verschwinden bringen, indem wir genauer zusehen, womit wir es hier wirklich zu tun haben, und uns nicht von sprachlichen Analogien verführen lassen, die die wahren Verhältnisse verschleiern oder verzerren.

Wie wir den richtigen Ausdruck, die richtige Harmonie, den nächsten Schritt im Beweis finden, ist nichts, was wir bewusst oder in der Sprache nachvollziehen können. Es ist ein tiefes Geheimnis, wie wir das machen. Dieser geheimnisvolle Vorgang soll nun sein, was das Wort 'denken' eigentlich bezeichnet.

Wittgenstein behandelt unsere Frage ziemlich wörtlich in § 335 und den folgenden in Philosophische Untersuchungen. Ich werde mir nun erlauben ihn zu zitieren, auch wenn das Zitat, so aus dem Zusammenhang gerissen, wahrscheinlich nicht ganz leicht zu verstehen ist:

335. Was geschieht, wenn wir uns bemühen - etwa beim Schreiben eines Briefes - den richtigen Ausdruck für unsere Gedanken zu finden? - Diese Redeweise vergleicht den Vorgang dem einer Übersetzung, oder Beschreibung: Die Gedanken sind da (etwa schon vorher), und wir suchen nur noch nach ihrem Ausdruck. Dieses Bild trifft für verschiedene Fälle mehr oder weniger zu. - Aber was kann hier nicht alles geschehen? - Ich gebe mich einer Stimmung hin, und der Ausdruck kommt. Oder: es schwebt mir ein Bild vor, das ich zu beschreiben trachte. Oder: es fiel mir ein englischer Ausdruck ein, und ich will mich auf den entsprechenden deutschen besinnen. Oder: ich mache eine Gebärde, und frage mich: "Welches sind die Worte, die dieser Gebärde entsprechen?" Etc.

Wenn man nun fragte "Hast du den Gedanken, ehe du den Ausdruck hattest?" - was müsste man da antworten? Und was auf die Frage: "Worin bestand der Gedanke, wie er vor dem Ausdruck vorhanden war?"

[...]

337. Aber habe ich nicht die Gesamtform des Satzes, z.B., schon an seinem Anfang beabsichtigt? Also war er mir doch schon im Geiste, ehe er noch ausgesprochen war! - Wenn er mir im Geiste war, dann, im allgemeinen, nicht mit anderer Wortstellung. Aber wir machen uns hier wieder ein irreführendes Bild vom 'Beabsichtigen'; d.h., vom Gebrauch dieses Worts. Die Absicht ist eingebettet in der Situation, den menschlichen Gepflogenheiten und Institutionen. Gäbe es nicht die Technik des Schachspiels, so könnte ich nicht beabsichtigen, eine Schachpartie zu spielen. Soweit ich die Satzform im voraus beabsichtigte, ist dies dadurch ermöglicht, dass ich deutsch sprechen kann.

338. Man kann doch nur etwas sagen, wenn man sprechen gelernt hat. Wer also etwas sagen will, muss dazu auch gelernt haben, eine Sprache zu beherrschen; und doch ist klar, dass er beim Sprechenwollen nicht sprechen musste. Wie er auch beim Tanzenwollen nicht tanzt.

Und wenn man darüber nachdenkt, so greift der Geist nach der Vorstellung des Tanzens, Redens, etc.

339. Denken ist kein unkörperlicher Vorgang, der dem Reden Leben und Sinn leiht, und den man vom Reden ablösen könnte, gleichsam wie der Böse den Schatten Schlemihls vom Boden abnimmt. - Aber wie: "kein unkörperlicher Vorgang"? Kenne ich also unkörperliche Vorgänge, das Denken aber ist nicht einer von ihnen? Nein; das Wort "unkörperlicher Vorgang" nahm ich mir zu Hilfe, in meiner Verlegenheit, da ich die Bedeutung des Wortes "denken" auf primitive Weise erklären wollte.

Man könnte aber sagen "Denken ist ein unkörperlicher Vorgang", wenn man dadurch die Grammatik des Wortes "denken" von der des Wortes "essen" z.B., unterscheiden will. Nur erscheint der Unterschied der Bedeutung zu gering. (Ähnlich ist es, wenn man sagt: die Zahlzeichen seien wirkliche, die Zahlen nicht-wirkliche Gegenstände.) Eine unpassende Ausdrucksweise ist ein sicheres Mittel, in einer Verwirrung stecken zu bleiben. Sie verriegelt gleichsam den Ausweg aus ihr.

340. Wie ein Wort funktioniert, kann man nicht erraten. Man muss seine Anwendung ansehen und daraus lernen.

Die Schwierigkeit aber ist, das Vorurteil zu beseitigen, das diesem Lernen entgegensteht. Es ist kein dummes Vorurteil.

Und noch ein kurzes das hierher passt:

383. Wir analysieren nicht ein Phänomen (z. B. das Denken), sondern einen Begriff (z.B. des Denkens) und also die Anwendung eines Worts. So kann es scheinen, als wäre, was wir treiben, Nominalismus. Nominalisten machen den Fehler, dass sie alle Wörter als Namen deuten, also ihre Verwendung nicht wirklich beschreiben, sondern sozusagen nur eine papierene Anweisung auf so eine Beschreibung geben.

384. Den Begriff  'Schmerz' hast du mit der Sprache gelernt.

[Die Rechtsschreibung in den Zitaten ist an die moderne Rechtschreibung angepasst.]

Diese Zitate, und überhaupt das Argument in dem heutigen Beitrag, nehmen eine Hypothek auf die Antwort, die ich zum ersten Problem zu geben verspreche, um das zweite Problem aufzulösen, wenn man vielleicht auch schon ahnt, wie die Behandlung des ersten Problems aussehen wird. Das heißt, man muss mir hier glauben, dass unsere Fähigkeit zu denken wesentlich zusammenhängt mit unserer Fähigkeit zu sprechen; jedenfalls konzentriere ich mich hier auf das andere Problem: "Denken ist ein geheimnisvoller Vorgang". Ich denke die obigen Zitate haben weitgehend die Bühne vorbereitet dafür, was als nächstes kommen muss - ich muss nur noch die Fäden zusammenführen; oder jedenfalls hoffe ich das.

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