Monday, May 9, 2016

DE 0004 Sprache und Denken

DE 0004

Ich will mich nicht dazu äußern, ob das Bild, das ich in meinem letzten Beitrag versucht habe zu zeichnen, richtig oder falsch ist. Bei so einem Bild kommt es mehr darauf an, was man damit macht. Und wenn man mit seiner Hilfe versucht den Zusammenhang von Sprache und Denken zu verstehen, ist die Frage, die wir beantworten müssen, ob dieses Bild dabei hilfreich ist.

Ein erstes Problem, will mir scheinen, besteht darin, dass das Bild den Eindruck nahe legt, dass das, was das Zeitwort 'denken' bezeichnet, eine bestimmte Tätigkeit ist, so ähnlich wie 'laufen' oder 'eine Weinflasche entkorken'. Es ist freilich so, dass wir die Fähigkeit zu laufen mit den Tieren teilen, und die Fähigkeit eine Weinflasche zu entkorken kann man mit Sicherheit zur Not einem Bonobo beibringen. Warum sollte es beim Denken anders sein? - ich meine, anders zum Beispiel, als mit dem Laufen.

Es liegt nahe den Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit damit zu erklären, dass die Sprache sich aus Zeichen zusammensetzt, die für Dinge in der Wirklichkeit stehen. 'Weinflasche' steht für eine Weinflasche, und 'entkorken' für die Tätigkeit den Korken aus der Weinflasche zu ziehen. Dann steht eben 'denken' auch für eine bestimmte, mehr oder weniger fest umrissene Tätigkeit, die allerdings nicht sichtbar ist, sondern vielleicht im Kopf der jeweils denkenden Person abläuft. Wenn das so ist, dann kann man sie vielleicht sogar indirekt sichtbar machen, so ähnlich wie wir die subatomaren Teilchen aufgrund ihrer Dampfspuren im Teilchenbeschleuniger indirekt sichtbar machen: durch messbare elektromagnetische Ströme im Zentralnervensystem.

Den ersten Teil dieses Bildes finden wir übrigens z.B. im Tractatus als sogenannte Bildertheorie der Sprache, nach der die Elementarsätze logische Abbilder der Beziehung zwischen den in den Sachverhalten logisch verknüpften Gegenständen sind - wenn man davon absieht, dass Weinflaschen und Korken keine Gegenstände im Sinne des Tractatus sind, zumal sie nicht einfach in seinem Sinn sind. Und natürlich zitiert Wittgenstein in Philosophische Untersuchungen gleich am Anfang den heiligen Augustinus mit einer ähnlichen Sprachtheorie. Mit dem zweiten Teil könnten sich wenigstens ungefähr manche Proponenten der Philosophie des Geistes identifizieren.

Bevor ich nun hier fortsetze, muss ich das im letzten Beitrag gezeichnete Bild ergänzen. Was die Ablehnung der Idee, dass das Denken wesentlich auf der menschlichen Sprache beruht, auch noch motiviert, ist zusätzlich die Beobachtung, dass das Denken ein psychologischer Vorgang ist, der sprachlos ablaufen muss, da sonst nicht zu erklären wäre, dass wir manchmal wissen, was wir sagen wollen, aber den richtigen sprachlichen Ausdruck dafür nicht finden. Da ich mit minderer oder größerer Frequenz an Migräne leide, kann ich ein Lied davon singen, das über die Erfahrung kämpfender Aufsatzschreiber hinausgeht: ich weiß dann häufig ganz genau, was ich sagen will, aber das Nervensystem, das den Wunsch mit seiner Ausführung verbinden sollte, ist dann manchmal lahmgelegt. Ich kann dann nicht einmal sagen, dass ich wegen meiner Migräne nicht sprechen kann, so sehr ich gelegentlich ziemlich verzweifelt versucht habe, genau das zu tun  (was mir erspart in eine Art von Lügnerparadox zu verfallen). Es geht aber bei dem Einwand in Wahrheit nicht um eine quasi mechanische Verhinderung, sondern um das Erfassen eines schöpferischen Aktes, in dem wir z. B. die richtigen Worte für ein Gedicht suchen oder eine Harmonie für eine Komposition; oder den Beweis einer mathematischen Theorie: keiner dieser schöpferischen Vorgänge läuft nach einer Formel ab. Wie immer der Zusammenhang zwischen Denken und Sprache sein mag, wir können nicht, z.B. durch Selbstbeobachtung entdecken, wie wir das richtige Wort, die richtige Harmonie, oder den mathematischen Beweis finden.

Im Moment ist das Problem, dem wir uns zu stellen haben, größer geworden. Ich hoffe wir können es in den nächsten paar Beiträgen nach und nach zum Verschwinden bringen.

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