Thursday, May 12, 2016

DE 0008 Sprache und Denken

# DE 0008

Der erste Einwand wirft Wittgenstein hauptsächlich vor, dass er keine "saubere Abhandlung" zum Verhältnis von Sprache und Denken liefert.

Dieser Einwand mag nun zum Teil aus meiner Auswahl des Zitats geboren sein. Wittgenstein hat noch vieles andere zu dieser Frage zu sagen, vorher und nachher. Zum Beispiel, fast auf der selben Seite, sagt er im § 332:

332. 'Denken' nennen wir wohl manchmal, den Satz mit einem seelischen Vorgang begleiten, aber 'Gedanke' nennen wir nicht jene Begleitung. - Sprich einen Satz und denke ihn; sprich ihn mit Verständnis! - Und nun sprich ihn nicht, und tue nur das, womit du ihn beim verständnisvollen Sprechen begleitet hast! - (Sing dies Lied mit Ausdruck! Und nun sing es nicht, aber wiederhole den Ausdruck! - Und man könnte auch hier etwas wiederholen; z.B. Schwingungen des Körpers, langsameres und schnelleres Atmen, etc.).

oder

334. "Du wolltest eigentlich sagen ...." - Mit dieser Redeweise leiten wir jemand von einer Ausdrucksform zu einer anderen. Man ist versucht, das Bild zu gebrauchen: das, was er eigentlich 'sagen wollte', war er 'meinte', sei, noch ehe wir es aussprachen, in seinem Geist vorhanden gewesen. Was uns dazu bewegt, einen Ausdruck aufzugeben und an seiner Stelle einen anderen anzunehmen, kann von mannigfacher Art sein. Das zu verstehen, ist es nützlich, das Verhältnis zu betrachten, in welchem Lösungen mathematischer Probleme zum Anlass und Ursprung ihrer Fragestellung stehen. Der Begriff 'Dreiteilung des Winkels mit Lineal und Zirkel', wenn einer nach der Dreiteilung sucht, und anderseits, wenn bewiesen ist, dass es sie nicht gibt.

Es gibt viele andere Beispiele. Aus allen zusammengenommen wird aber nie eine "saubere Abhandlung", da hat der Einwand schon ins Schwarze getroffen. Was eine saubere Abhandlung tut ist, im Prinzip, eine Hypothese vorzuschlagen, mit deren Hilfe man in der Wissenschaft typischerweise natürliche Phänomene erklärt. Zum Beispiel, welche Axonen in meinem Broca Areal aktiviert werden, wenn ich das Wort 'Wittgenstein' sage.

Aber Wittgenstein hat ein anderes Ziel: er überlässt das Aufstellen von Thesen über die Wirklichkeit der Wissenschaft, und sieht seine Aufgabe darin, unsere philosophisch motivierten Verblüffungen aufzulösen, indem er zeigt, dass sie zumeist darauf beruhen, dass wir Missbrauch mit der Sprache betreiben. Deshalb gibt es für ihn keine philosophischen Thesen: Man kann nur nach und nach Verständnis dafür erzielen, dass wir beim Versuch philosophische Thesen aufzustellen die sprachlichen Ausdrücke in einer Weise verwenden, die vom normalen Sprachgebrauch nicht sanktioniert wird, und somit ihre Bedeutung nicht mehr unter Kontrolle haben: wir verstehen recht eigentlich nicht, was wir sagen. Wir verlieren, sozusagen, den Boden unter den Füßen, auf dem wir fest zu stehen meinten.

Es geht nicht nur den Philosophen so, dass sie sich in ihren eigenen Thesen verwirren, weil sie sich von sprachlichen Bildern verführen lassen, die sich beim näheren Hinsehen als Chimären erweisen. Das passiert oft auch den Wissenschaftlern, wenn sie versuchen populäre Erklärungen ihrer in wissenschaftlicher Sprache abgefassten Theorien zu geben. Berühmte Beispiele dafür sind meiner Meinung nach Stephen B. Hawkings A Brief History of Time oder Francis Cricks The Astonishing Hypothesis, die populärwissenschaftlichen Bücher von Richard Dawkins im allgemeinen oder alle jene, in denen er seine atheistische Religion zu verbreiten sucht , usw. Die Liste kann man ziemlich lange fortsetzen.

Auf die Gefahr hin, mehr Missverständnisse als Einsichten zu produzieren, werde ich zwei berühmte Textstellen zitieren, in denen Wittgenstein Andeutungen macht in der Richtung, die ich in den letzten Absätzen kurz beschreiben wollte:

309. Was ist dein Ziel in der Philosophie? - Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen.

In gewisser Weise, als Vorbereitung für den Text den ich eigentlich zitieren will, zunächst Teile von § 107 und 108. Hier nimmt Wittgenstein unter anderem die Auffassung unter die Lupe, dass Begriffe wie 'Satz', 'Sprache', usw. eine scharfe Grenze haben müssen - denn wie sollte man sonst definieren, was diese Worte bezeichnen?

107. Je genauer wir die tatsächliche Sprache betrachten, desto stärker wird der Widerstreit zwischen ihr und unserer Forderung [Der Satz, das Wort, von dem die Logik handelt, soll etwas Reines und Scharfgeschnittenes sein; § 105]. (Die Kristallreinheit der Logik hatte sich mir ja nicht ergeben; sondern sie war eine Forderung.) [...]

108. Wir erkennen, dass, was wir 'Satz', 'Sprache', nennen, nicht die formelle Einheit ist, die ich mir vorstellte, sondern die Familie mehr oder weniger miteinander verwandter Gebilde. - Was aber wird aus der Logik? Ihre Strenge scheint hier aus dem Leim zu gehen. [...]

Die Philosophie der Logik redet in keinem anderen Sinn von Sätzen und Wörtern, als wir es im gewöhnlichen Leben tun, [...]

Wir reden von dem räumlichen und zeitlichen Phänomen der Sprache; nicht von einem unräumlichen und unzeitlichen Unding. [...] Aber wir reden von ihr so, wie von den Figuren des Schachspiels, indem wir Spielregeln für sie angeben, nicht ihre physikalischen Eigenschaften beschreiben.

Die Frage "Was ist eigentlich ein Wort?" ist analog der "Was ist eine Schachfigur?"

Und nun das Ziel dieser vorbereitenden Bemerkungen:

109. Richtig war, dass unsere Betrachtungen nicht wissenschaftliche Betrachtungen sein durften. [...] Und wir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unseren Betrachtungen sein. Alle Erklärung muss fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten. Und diese Beschreibung empfängt ihr Licht, d. i. ihren Zweck, von den philosophischen Problemen. Diese sind freilich keine empirischen, sondern sie werden durch eine Einsicht in das Arbeiten unserer Sprache gelöst, und zwar so, dass dieses erkannt wird: entgegen einem Trieb, es misszuverstehen. Diese Probleme werden gelöst, nicht durch Beibringen neuer Erfahrung, sondern durch Zusammenstellung des längst Bekannten. Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.

Ich denke es ist nun jedenfalls klar, dass Wittgenstein von dem Vorwurf, keine saubere [theoretische] Abhandlung über den Zusammenhang von Sprache und Denken vorzulegen, nicht betroffen fühlen würde. Es gibt keine theoretischen Schlüsse hier, weder in der einen, noch in der anderen Richtung. Ich glaube, den Rest des Einwandes können wir von der Kritik an Wittgenstein loslösen und versuchen ihn im Rahmen unserer allgemeinen Überlegungen einer Lösung zuzuführen.



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