Wednesday, May 18, 2016

DE 0014 Sprache und Denken

# DE 0014

Gehen wir nochmals zurück auf unser ursprüngliches Bild, das wir nach allem, was wir gesagt haben, jetzt vielleicht klarer zeichnen können:

Denken ist etwas organisches, oder die Folge von organischen Vorgängen, die es in ganz primitiver Form bei allen Organismen gibt, und das immer komplizierter wird, je komplexer der Organismus ist. Denken ist, möchte man sagen, was ein Organismus tut wenn er nicht einem blinden Automatismus folgt, sondern eine Entscheidung fällt: Angreifen oder Fliehen!

Solche Alternativen gibt es für jedenfalls alle komplexeren Organismen, ganz unabhängig von ihren sprachlichen Kapazitäten. Es ist daher ganz unmöglich, dass dieser Vorgang in seinem Ursprung von der Sprache abhängt. Er muss von organischen Gegebenheiten abhängen, die "primitiver" oder "ursprünglicher" sind als jene, die der Sprache zugrunde liegen.

Und wenn ich wissen will, worin das Denken besteht, dann muss ich seine primitiven Wurzeln erforschen, und nicht Grammatik betreiben.

Dieses Bild kann man noch in mancher Hinsicht vervollständigen und in dem einen oder anderen Punkt auch noch berichtigen. So ist keineswegs klar, dass die Entscheidung zwischen Angreifen und Fliehen nicht auf einem einfachen Mechanismus beruht, sondern eine "bewusste" Entscheidung braucht; wir müssten dann also vielleicht ergänzen, dass es zum Denken eines Bewusstseins bedarf, was immer das sein mag. Und dann müssten wir das Denken auf Organismen mit Bewusstsein beschränken. Was braucht ein Organismus, um bewusst zu sein? Was ist Bewusstsein? Ist das leichter zu beantworten, und können wir die Frage klären, bevor wir klären, was Denken ist?

Ein andere Frage, die hier ihr Haupt erhebt und beginnt in uns den Verdacht zu erwecken, dass wir hier wie Herkules gegen ein Ungeheuer mit sieben (oder wie vielen immer) stets nachwachsenden Köpfen kämpfen, ist, ob es denn überhaupt möglich ist zu entscheiden, wann eine Frage automatisch ist, und wann sie von der Kapazität zu denken abhängt. Unterliegen in der Natur nicht alle Vorgänge der Kausalität? Hängt die Frage nach dem Denken zusammen mit der Frage nach dem freien Willen?

* * * * *

Je klarer wir versuchen das Bild zu zeichnen, das uns vorschwebt, und auf dem unser Urteil beruht, dass das Denken etwas von der Sprache unabhängiges sein muss, desto verschwommener wird es. Die Begriffe, mit denen wir versucht haben die Aussage scharf zu konstruieren, sind selber verschwommen. Es liegt der Verdacht nahe, dass unser Bild, von dem wir so überzeugt sind, dass es irgendwie richtig sein muss, auf einer Reihe begrifflicher Verwirrungen beruht (und natürlich gibt es ohne Sprache keine Begriffe, und nicht einmal verwirrte Bilder).

Aber es mag sein, dass der Verdacht selber noch verdächtig ist. Wir wollen also ein bisschen weiter bohren: es hat sich uns ergeben, dass Denken vielleicht mit Bewusstsein zusammenhängt. Es scheint ja auch ganz sicher, dass das Bewusstsein etwas ist, was keiner Sprache bedarf. Wenn wir klären können, was bewusstes Handeln ist, dann wissen wir vielleicht, was Denken ist, ohne auf die Sprache zurückgreifen zu müssen.


1 comment:

  1. Das Bild mit der Hydra ist mir nicht von ungefähr eingefallen: https://i0.wp.com/www.afm.org.mx/wp-content/uploads/2015/09/V%C2%B0-Congreso-Wittgenstein-en-espa%C3%B1ol..jpg

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