Wednesday, May 11, 2016

DE 0006 Sprache und Denken

# DE 0006

Die Frage war also: "Wie kann es sein, dass das Denken von der Sprache abhängt, wenn wir doch ständig erleben, dass wir eine unklare Idee von etwas haben können, für die wir die genaue sprachliche Formulierung erst suchen müssen. Ist das nicht ein klarer Beweis dafür, dass wir Gedanken ohne Sprache haben können, und dass vielmehr die Sprache von den Gedanken abhängt?"

Die kurze Antwort darauf ist, wie hoffentlich aus dem bis hierher gesagt relativ leicht einzusehen ist, dass die beiden Gedanken sich nicht widersprechen. Die Sprache ist Bedingung dafür, möchte man sagen, dass wir gewisse (noch nicht fertig formulierte) Ideen überhaupt haben können. Ohne die Institution der Geburtstagsfeier kann ich nicht in die Verlegenheit kommen, die richtigen Worte auf einer Geburtstagskarte suchen zu müssen. Es braucht eine ganze Reihe höchst komplizierter sozialer Einrichtungen, damit es Geburtstage und Geburtstagsfeiern geben kann - und in den allermeisten von ihnen spielt die Sprache eine vitale Rolle; nicht als Bedingung die vor der Möglichkeit existiert, aber als nicht wegdenkbarer Teil davon.

Ich kann nichts denken, von dem ich keinen Begriff habe (aber ich kann natürlich alte Begriffe zu neuen Begriffen z.B. kombinieren). Und die Begriffe, die wir haben, sind mit regelmäßigen menschlichen Tätigkeiten verknüpft, in denen die Sprache eine wesentliche Rolle spielt. Die Rolle, die die Sprache in diesen Tätigkeiten spielt, kann ganz verschieden sein; manchmal tritt sie nur als Beschreibung der Tätigkeit auf, manchmal ist sie selbst ein vitaler Teil davon, wie zum Beispiel bei einem Befehl. Aber irgendwie kommt die Sprache so gut wie immer dabei vor.

Es ist auf diese Weise, dass Handeln, Sprechen und Denken miteinander vital verknüpft sind. Dass wir manchmal um ein geeignetes Wort erst ringen müssen, steht bei genauerer Betrachtung in keinem Widerspruch zu dieser fundamentalen Verknüpfung; es ist vielmehr klar, dass es dieser fundamentalen Verknüpfung bedarf, damit ich überhaupt in die Lage kommen kann, nach geeigneten Worten suchen zu müssen. Und diese vitale Verknüpfung besteht für mich deshalb, weil ich ein Mensch bin, der in einer (Sprach- und Denk)-Gemeinde aufgewachsen ist. (Auf die Frage "wie weißt Du, dass das rot ist?" ist für Wittgenstein die natürlichste Antwort: "weil ich deutsch kann.")

Ich will mal annehmen, dass dies auf keinen Widerspruch stößt, aber natürlich sind damit noch nicht alle aufgeworfenen Fragen beantwortet. So bleibt zum Beispiel der Einwand:

"Aber Denken ist doch eine psychologische Tätigkeit, eben dieser geheimnisvolle Vorgang, der mich die richtigen Worte finden lässt. Darauf gibt doch das Geschwafel da oben keine Antwort!"

Mal sehen, was mir dazu einfällt.


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