Friday, June 3, 2016

DE 0024 Sprache und Denken. Zusammenfassung (iii): Bedeutung

# DE 0024 Bedeutung

Wittgenstein bemüht sich in seinem posthumen Hauptwerk uns zu der Einsicht zu bringen, dass es ein Fehler ist zu versuchen eine Erklärung für das Funktionieren unserer Sprache um die Hypothese zu konstruieren, dass die Wörter Symbole für Dinge oder Ereignisse in der Welt sind. Er möchte uns zu dieser Einsicht bringen, ohne eine alternative Theorie für das Funktionieren unserer Sprache aufzustellen. Die Gründe für dieses Vorgehen habe ich angedeutet und Wittgensteins Absicht in dieser Hinsicht mit wörtlichen Zitaten aus Philosophische Untersuchungen belegt, und ich will es dabei bewenden lassen.

Die Versuchung ist sehr groß in manchen der Dinge, die Wittgenstein zum Thema Bedeutung sagt, wenigstens Ansatzweise eine Bedeutungstheorie zu sehen. So spricht er in § 43 davon (wie wir gesehen haben), dass man in vielen Fällen davon ausgehen kann, dass, wenn man von der Bedeutung eines Wortes spricht, man von seiner Verwendung im normalen Sprachgebrauch redet. Die Kurzfassung davon ist "Bedeutung = Verwendung" und das hat ganz das Aussehen einer Theorie.

Wie immer es sich damit verhalten mag, ich will versuchen nun einigermaßen plausible zu machen, dass die ziemlich natürliche Annahme, dass die Wörter Bedeutung haben, weil sie etwas bezeichnen, und der Sinn oder die Funktion de Sprache darin besteht, dass wir uns gegenseitig Mitteilungen über die Welt machen können, uns in die Irre führt, wenn wir die Rolle der Sprache in unserem Leben verstehen wollen; und dass es daher auch -wie wir hoffentlich gesehen haben- ein denkbar schlechter Ausgangspunkt ist, wenn wir uns darauf gestützt über das Verhältnis von Sprache und Denken unterhalten.

Ich denke, wenn ich einigermaßen erfolgreich bin, wird auch klar, warum der Versuch, das Funktionieren unserer Sprache von vornherein als Konstruktion einer Bedeutungstheorie anzugehen, unsere Untersuchung in eine falsche Richtung lenkt.

Wittgenstein zeigt uns in seinem Buch ziemlich bald, dass das Paradigma der Sprache als Mitteilungssystem viel zu eng gefasst ist. Aber statt nun eine weiter gefasste Definition von Sprache zu versuchen, legt er nahe bei so komplexen Angelegenheiten wie der menschlichen Sprache auf Definitionen überhaupt zu verzichten. Er lädt uns ein zu versuchen ein relativ einfaches Wort wie 'Spiel' zu definieren. Am Ende des Versuchs steht die Einsicht, dass wir, wenn wir von Spielen reden, nicht an einen scharf umrissenen Begriff appellieren, sondern dass es hier um etwas geht, was er Familienähnlichkeit nennt. Viele Spiele habe viele Eigenschaften gemeinsam, so dass wir deshalb bei allen diesen Spielen eben von Spielen sprechen. Aber es gibt offenbar keine Eigenschaft, die alle Spiele und nur die Spiele teilen. Was sie teilen, ist eben dies: es besteht eine Familienähnlichkeit zwischen ihnen, die von einem Spiel zum nächsten führt, aber nicht alle Spiele müssen die selben Ähnlichkeiten teilen; so ähnlich, wie ein langer Zwirn aus vielen Einzelfasern besteht; seine Verwendbarkeit und seine Festigkeit beruht nicht darauf, dass sich eine lange Faser von einem Ende zum anderen durchzieht. (Ich erzähle das nach - die Beispiele sind etwa von Wittgenstein.)

Wenn wir einmal einsehen, dass wir keine Definition im aristotelischen Sinn brauchen, um von der Sprache reden zu können, dann haben wir schon einiges gewonnen um unser sprödes Paradigma zu brechen, das dem Verständnis im Wege steht.

Ich habe vorhin nicht gesagt, inwiefern das Paradigma von der Sprache als Mitteilungssystem zu eng gefasst ist; ich werde am Ende ein Zitat aus Philosophische Untersuchungen anführen, das in dieser Hinsicht einiges nahelegen mag. Wenn ich aber mal davon ausgehen darf, dass es einsichtig ist, dass wir nicht immer etwas sagen, weil wir eine Mitteilung machen wollen, ist es denn deshalb falsch die Sprache als Mitteilungssystem zu verstehen, für den Fall, dass es um Mitteilungen geht? Die Wissenschaft benützt die Sprache ganz sicher praktisch immer, weil es ihr um Aussagen über die Welt geht. Ist es nicht genug, das Funktionieren der Sprache für diesen Fall anhand unseres Paradigmas zu erklären?

Es stellt sich aber heraus, wie wir ja im Vorbeigehen auch schon festgestellt haben, dass es keine autonome wissenschaftliche Sprache gibt; wir können alle möglichen formalen Sprachen erfinden. Wenn es uns aber darum geht zu verstehen, was diese formales Sprache uns über die Wirklichkeit lehrt, geht es nicht ohne unsere Alltagssprache. Auch das Funktionieren von Sprachen, die reine Kommunkationswerkzeuge zu sein scheinen, lässt sich nicht nur aufgrund einer Theorie erklären, die von der Symbolkraft der Elemente dieser Sprache ausgeht.

Es wird wohl das beste sein, wir versuchen ein Gefühl dafür zu entwickeln, worauf es ankommt, wenn wir die Rolle der Sprache in unserem Leben verstehen wollen, und dann wird es vielleicht auch leichter sein, uns mit spezielleren Fragen zurecht zu finden.

Ich will nun zum Abschluss für heute einen etwas längeren Abschnitt aus Philosophische Untersuchungen zitieren, wie ich ja angekündigt habe.

23. Wieviele Arten der Sätze gibt es aber? Etwa Behauptung, Frage und Befehl? - Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige verschiedene Arten der Verwendung alles dessen, was wir 'Zeichen', 'Worte', 'Sätze' nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andre veralten und werden vergessen. (Ein ungefähres Bild davon können uns die Wandlungen in der Mathematik geben.)
Das Wort 'Sprachspiel' soll hier hervorheben, dass das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform. 
Führe dir die Mannigfaltigkeit der Sprachspiele an diesen Beispielen, und anderen, vor Augen:

  • Befehlen, und nach Befehlen handeln
  • Beschreiben eines Gegenstandes nach dem Ansehen, oder nach Messungen
  • Herstellen eines Gegenstandes nach einer Beschreibung (Zeichnung)
  • Berichten eines Hergangs
  • Über den Hergang Vermutungen anstellen
  • Eine Hypothese aufstellen und prüfen
  • Darstellen der Ergebnisse eines Experiments durch Tabellen und Diagramme
  • Eine Geschichte erfinden; und lesen
  • Theater spielen
  • Reigen singen
  • Rätsel raten
  • Einen Witz machen und erzählen
  • Ein angewandtes Rechenexempel lösen
  • Aus einer Sprache in eine andere übersetzen
  • Bitten, Danken, Fluchen, Grüßen, Beten.
- Es ist interessant, die Mannigfaltigkeit der Werkzeuge der Sprache und ihrer Verwendungsweisen, die Mannigfaltikeit der Wort- und Satzarten, mit dem zu vergleichen, was Logiker über den Bau der Sprache gesagt haben. (Und auch der Verfasser der Logisch-Philosophischen Abhandlung.)

[Die Zeichen am Anfang in der Liste stammen von mir]

Und dieses noch:

27. "Wir benennen die Dinge und können nun über sie reden. Uns in der Rede auf sie beziehen." - Als ob mit dem Akt des Benennens schon das, was wir weiter tun, gegeben wäre. Als ob es nur Eines gäbe, was heißt: "von Dingen reden." Während wir doch das Verschiedenartigste mit unseren Sätzen tun. Denken wir an die Ausrufe. Mit ganz verschiedenen Funktionen.


Wasser!
Fort!
Au!
Hilfe!
Schön!
Nicht!

Bist du nun noch geneigt, diese Wörter 'Benennungen von Gegenständen' zu nennen?

[...]

Benennen von Gegenständen ist selber eines von vielen Sprachspielen, das wir (als Kinder) lernen, fährt Wittgenstein fort, aber nicht etwas, was ein für allemal erklären kann, wie unsere Sprache funktioniert, mag man dazu denken.

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