Saturday, June 4, 2016

DE 0025 Sprache und Denken. Zusammenfassung (iv): Bedeutung

# DE 0025: Bedeutung (Fortsetzung)

Die Sprache ist eingebettet in unser Handeln und ihr Funktionieren hängt davon ab, dass sie als Teil unseres Handelns funktioniert. Es mag schon so sein, dass wir wissen, welches physikalische Ding wir mit dem Namen 'Eiffelturm' bezeichnen, und wissen, dass wir vom Eiffelturm reden, wenn wir 'Eiffelturm' sagen: "Bei meinem letzten Besuch in Paris bin ich auf den Eiffelturm gefahren." Aber daraus nun zu schließen, ein Satz habe Bedeutung, weil jeder seiner Bestandteile eine Bedeutung hat, und wir aus der zusammengesetzten Bedeutung der verschiedenen Namen/Wörter (Substantive, Verben, Adjektive, usw.) die Bedeutung des ganzen Satzes konstruieren, ist zumindest vorschnell - oder, wie wir versucht haben das letzte mal zu zeigen, verführt unsere Untersuchung dazu, sich in eine falsche Richtung zu bewegen.

Es ist vielmehr so, dass der Satz "Mach bitte die Türe zu!" Bedeutung hat, weil der Angesprochene in der Regel tut, was wir von ihm verlangen. Er muss es nicht immer tun, aber die Anwendung des Satzes muss wenigstens mit großer Regelmäßigkeit Erfolg haben (es muss geschehen, was wir trainiert wurden, mit dem Aussprechen des Satzes zu verbinden), sonst würde sich seine Bedeutung womöglich ins Gegenteil umkehren. Es gibt solche Situationen von Bedeutungswandlungen. Im allgemeinen: Wenn niemals jemand einem Befehl gehorchen würde, dann gäbe es keine Befehle.

Diese Beobachtung bringt Wittgenstein dazu zu sagen, wenn wir der Bedeutung eines Ausdrucks auf den Grund gehen wollen, dann müssen wir untersuchen, wie dieser Ausdruck in unserem Leben funktioniert. Man kann darüber nicht abstrakt nachdenken - sondern man muss schauen, wie das vor sich geht. Man kann darüber nicht abstrakt nachdenken, weil die Sprache nicht nach Regeln funktioniert, die von der sprachlichen Praxis unabhängig sind. Die Schulgrammatik ist der Versuch, unser Sprachverhalten mit Hilfe von allgemeinen Regeln allgemein zu beschreiben; das geht nur bis zu einem gewissen Punkt, und auch nur für eine gewisse Zeit. Alle Regeln der Schulgrammatik haben Ausnahmen, und sie müssen immer wieder neu geschrieben werden, weil sie nicht mehr der Praxis entsprechen und daher keine brauchbare Beschreibung mehr abgeben.

Viele philosophische Probleme wie die Frage nach der Priorität von Sprache oder Denken entstehen, weil wir zu sehr und zu schnell verallgemeinern und zu wenige Beispiele aus dem wirklichen Leben verwenden. Das ist es, was Wittgenstein eine Tendenz nennt, unsere Sprache misszuverstehen, wenn wir uns philosophische Fragen stellen. Diese Fragen kann man meist als Missverständnisse entlarven, wenn man das Funktionieren der Ausdrücke in Situationen untersucht, in denen sie ihre praktische Anwendung haben.

Um ein Beispiel zu nennen, auf das ich hier aber ansonsten nicht eingehen werde: "Ich habe einen Goldzahn" scheint genau den gleichen grammatikalischen Aufbau zu haben wie: "Ich habe Zahnschmerzen." Diese (oberflächliche) Ähnlichkeit versteckt die wirklichen Unterschiede in der Bedeutung. Die wildesten philosophischen Spekulationen resultieren daraus, dass man den Ausdrücken auf den ersten Blick nicht ansieht, wie verschieden sie sind, weil ihre Anwendung und daher ihre Grammatik in einem tieferen Sinn ganz verschieden sind. Grammatik meint hier die praktischen Regeln der Anwendung der Sprache im Leben, jene, die unser Zusammenleben möglich machen, nicht die formalen Abstraktionen, die in der Schulgrammatik stehen.

Die Anwendung der Sprache kann, in einem gewissen Sinn, nicht falsch sein. Sie funktioniert, oder sie funktioniert nicht. Wenn sie nicht (mehr) funktioniert, dann ändert oder verliert ein Sprachspiel seine Bedeutung. Eine Tendenz unsere Sprache misszuverstehen tritt nur auf, wenn wir die Sprache nicht im Rahmen ihrer natürlichen Umgebung handhaben, sondern, wie Wittgenstein sagt, wenn sie "feiert" - wenn die Räder der Sprache wirkungslos leer drehen. Wir haben dann keine Kontrolle, was unsere Ausdrücke bedeuten, weil die Sprachregeln nur für die Praxis gelten. Wir verlieren den Kontakt mit dem Boden - es ist, als gingen wir auf Glatteis. Ich zitiere nun den Abschnitt aus PU komplett, den ich schon vor einiger Zeit angeführt habe:

107. Je genauer wir die tatsächliche Sprache betrachten, desto stärker wird der Widerstreit zwischen ihr und unserer Forderung. (Die Kristallreinheit der Logik hatte sich mir ja nicht ergeben; sondern sie war eine Forderung.) Der Widerstreit wird unerträglich; die Forderung droht nun, zu etwas Leerem zu werden. - Wir sind aufs Glatteis geraten, wo die Reibung fehlt, also de Bedingungen in gewissem Sinn ideal sind, aber wir eben deshalb auch nicht gehen können. Wir wollen gehen; dann brauchen wir Reibung. Zurück auf den rauen Boden!

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