Thursday, May 12, 2016

DE 0008 Sprache und Denken

# DE 0008

Der erste Einwand wirft Wittgenstein hauptsächlich vor, dass er keine "saubere Abhandlung" zum Verhältnis von Sprache und Denken liefert.

Dieser Einwand mag nun zum Teil aus meiner Auswahl des Zitats geboren sein. Wittgenstein hat noch vieles andere zu dieser Frage zu sagen, vorher und nachher. Zum Beispiel, fast auf der selben Seite, sagt er im § 332:

332. 'Denken' nennen wir wohl manchmal, den Satz mit einem seelischen Vorgang begleiten, aber 'Gedanke' nennen wir nicht jene Begleitung. - Sprich einen Satz und denke ihn; sprich ihn mit Verständnis! - Und nun sprich ihn nicht, und tue nur das, womit du ihn beim verständnisvollen Sprechen begleitet hast! - (Sing dies Lied mit Ausdruck! Und nun sing es nicht, aber wiederhole den Ausdruck! - Und man könnte auch hier etwas wiederholen; z.B. Schwingungen des Körpers, langsameres und schnelleres Atmen, etc.).

oder

334. "Du wolltest eigentlich sagen ...." - Mit dieser Redeweise leiten wir jemand von einer Ausdrucksform zu einer anderen. Man ist versucht, das Bild zu gebrauchen: das, was er eigentlich 'sagen wollte', war er 'meinte', sei, noch ehe wir es aussprachen, in seinem Geist vorhanden gewesen. Was uns dazu bewegt, einen Ausdruck aufzugeben und an seiner Stelle einen anderen anzunehmen, kann von mannigfacher Art sein. Das zu verstehen, ist es nützlich, das Verhältnis zu betrachten, in welchem Lösungen mathematischer Probleme zum Anlass und Ursprung ihrer Fragestellung stehen. Der Begriff 'Dreiteilung des Winkels mit Lineal und Zirkel', wenn einer nach der Dreiteilung sucht, und anderseits, wenn bewiesen ist, dass es sie nicht gibt.

Es gibt viele andere Beispiele. Aus allen zusammengenommen wird aber nie eine "saubere Abhandlung", da hat der Einwand schon ins Schwarze getroffen. Was eine saubere Abhandlung tut ist, im Prinzip, eine Hypothese vorzuschlagen, mit deren Hilfe man in der Wissenschaft typischerweise natürliche Phänomene erklärt. Zum Beispiel, welche Axonen in meinem Broca Areal aktiviert werden, wenn ich das Wort 'Wittgenstein' sage.

Aber Wittgenstein hat ein anderes Ziel: er überlässt das Aufstellen von Thesen über die Wirklichkeit der Wissenschaft, und sieht seine Aufgabe darin, unsere philosophisch motivierten Verblüffungen aufzulösen, indem er zeigt, dass sie zumeist darauf beruhen, dass wir Missbrauch mit der Sprache betreiben. Deshalb gibt es für ihn keine philosophischen Thesen: Man kann nur nach und nach Verständnis dafür erzielen, dass wir beim Versuch philosophische Thesen aufzustellen die sprachlichen Ausdrücke in einer Weise verwenden, die vom normalen Sprachgebrauch nicht sanktioniert wird, und somit ihre Bedeutung nicht mehr unter Kontrolle haben: wir verstehen recht eigentlich nicht, was wir sagen. Wir verlieren, sozusagen, den Boden unter den Füßen, auf dem wir fest zu stehen meinten.

Es geht nicht nur den Philosophen so, dass sie sich in ihren eigenen Thesen verwirren, weil sie sich von sprachlichen Bildern verführen lassen, die sich beim näheren Hinsehen als Chimären erweisen. Das passiert oft auch den Wissenschaftlern, wenn sie versuchen populäre Erklärungen ihrer in wissenschaftlicher Sprache abgefassten Theorien zu geben. Berühmte Beispiele dafür sind meiner Meinung nach Stephen B. Hawkings A Brief History of Time oder Francis Cricks The Astonishing Hypothesis, die populärwissenschaftlichen Bücher von Richard Dawkins im allgemeinen oder alle jene, in denen er seine atheistische Religion zu verbreiten sucht , usw. Die Liste kann man ziemlich lange fortsetzen.

Auf die Gefahr hin, mehr Missverständnisse als Einsichten zu produzieren, werde ich zwei berühmte Textstellen zitieren, in denen Wittgenstein Andeutungen macht in der Richtung, die ich in den letzten Absätzen kurz beschreiben wollte:

309. Was ist dein Ziel in der Philosophie? - Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen.

In gewisser Weise, als Vorbereitung für den Text den ich eigentlich zitieren will, zunächst Teile von § 107 und 108. Hier nimmt Wittgenstein unter anderem die Auffassung unter die Lupe, dass Begriffe wie 'Satz', 'Sprache', usw. eine scharfe Grenze haben müssen - denn wie sollte man sonst definieren, was diese Worte bezeichnen?

107. Je genauer wir die tatsächliche Sprache betrachten, desto stärker wird der Widerstreit zwischen ihr und unserer Forderung [Der Satz, das Wort, von dem die Logik handelt, soll etwas Reines und Scharfgeschnittenes sein; § 105]. (Die Kristallreinheit der Logik hatte sich mir ja nicht ergeben; sondern sie war eine Forderung.) [...]

108. Wir erkennen, dass, was wir 'Satz', 'Sprache', nennen, nicht die formelle Einheit ist, die ich mir vorstellte, sondern die Familie mehr oder weniger miteinander verwandter Gebilde. - Was aber wird aus der Logik? Ihre Strenge scheint hier aus dem Leim zu gehen. [...]

Die Philosophie der Logik redet in keinem anderen Sinn von Sätzen und Wörtern, als wir es im gewöhnlichen Leben tun, [...]

Wir reden von dem räumlichen und zeitlichen Phänomen der Sprache; nicht von einem unräumlichen und unzeitlichen Unding. [...] Aber wir reden von ihr so, wie von den Figuren des Schachspiels, indem wir Spielregeln für sie angeben, nicht ihre physikalischen Eigenschaften beschreiben.

Die Frage "Was ist eigentlich ein Wort?" ist analog der "Was ist eine Schachfigur?"

Und nun das Ziel dieser vorbereitenden Bemerkungen:

109. Richtig war, dass unsere Betrachtungen nicht wissenschaftliche Betrachtungen sein durften. [...] Und wir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unseren Betrachtungen sein. Alle Erklärung muss fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten. Und diese Beschreibung empfängt ihr Licht, d. i. ihren Zweck, von den philosophischen Problemen. Diese sind freilich keine empirischen, sondern sie werden durch eine Einsicht in das Arbeiten unserer Sprache gelöst, und zwar so, dass dieses erkannt wird: entgegen einem Trieb, es misszuverstehen. Diese Probleme werden gelöst, nicht durch Beibringen neuer Erfahrung, sondern durch Zusammenstellung des längst Bekannten. Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.

Ich denke es ist nun jedenfalls klar, dass Wittgenstein von dem Vorwurf, keine saubere [theoretische] Abhandlung über den Zusammenhang von Sprache und Denken vorzulegen, nicht betroffen fühlen würde. Es gibt keine theoretischen Schlüsse hier, weder in der einen, noch in der anderen Richtung. Ich glaube, den Rest des Einwandes können wir von der Kritik an Wittgenstein loslösen und versuchen ihn im Rahmen unserer allgemeinen Überlegungen einer Lösung zuzuführen.



Wednesday, May 11, 2016

DE 0007 Sprache und Denken

# DE 0007

Dass das Zeitwort 'denken' einen inneren, im Grunde unfassbaren Vorgang bezeichnen soll, ist eines jener tief sitzenden Vorurteile, von denen Wittgenstein spricht, die keine dummen Vorurteile sind. Jedenfalls gibt es einen ganzen Zweig der Philosophie, der auf diesem und ähnlichen Vorurteilen aufbaut, und auch wenn ich persönlich glaube, dass er für eine unglückliche Entwicklung der westlichen Philosophie steht, da sie über Stufen überwunden geglaubter Verwirrungen klettert, kann ich sie doch nicht ignorieren. Der Engländer Peter Hacker, ein berühmter Wittgenstein-Gelehrter, und Maxwell Bennett, ein australischer Neurowissenschafter  haben ein dickes Buch geschrieben um diese Art von Vorurteil in den Neurowissenschaften zu untergraben; mir gefällt der Diskussionsstil der beiden nicht, aber vieles von dem, was sie sagen, trifft meiner Meinung nach den Nagel auf den Kopf.

Da es sich um ein tiefes und nicht dummes Vorurteil handelt, gibt es kein einfaches und kurzes Argument um es auszuräumen. Ich werde wohl auch auf die eine oder andere Idee aus dem erwähnten Buch zurückgreifen: Philosophical Foundations of Neuroscience; M. R. Bennett and P. M. S. Hacker; Blackwell Publishing; Malden, USA; Oxford, UK; Carlton, Australia; 2003.

* * * * *

Bevor wir in dieser Richtung fortschreiten können, müssen wir allerdings ein paar neue Einwendungen zu Antworten bedienen, die wir zu früheren Fragen gegeben haben. Diese Einwendungen beziehen sich allerdings nicht auf etwas was ich geschrieben habe, sondern auf die Textstellen von Wittgenstein, die ich zitiert habe.

Meine philosophische Überzeugungen kann ich zu einem ganz großen Teil auf Dinge zurückführen, die ich bei Wittgenstein gelesen habe, oder beim Studium von Kommentaren zu Wittgenstein. Wenn ich Wittgenstein hier zitiert habe, dann nicht so sehr weil ich mich direkt auf Aussagen von ihm für mein Argument stützen wollte, sondern weil ich den Eindruck vermeiden wollte, dass, was ich sage, auf meinem Mist gewachsen ist. Ich bin kein besonders origineller Denker.

Wittgenstein ist ein sehr schwieriger Autor, den man sehr, sehr leicht missversteht; zumal wenn man nur ein Schnipsel von seinem Text vorgesetzt bekommt. Und auch, wenn man ihn gründlich studiert, nehmen die Missverständnisse kein Ende; bei berühmten Denkern, und bei Studenten erst recht. Ein Prinzip, das Wittgenstein bei der Abfassung seiner Texte eingehalten zu haben scheint, lautet: "Man darf dem Leser das Denken nicht ersparen [wollen]." Wittgenstein versteht, was er sagt, hauptsächlich als Anregung zum Selberdenken, nicht als weitläufige Beschreibung, die man einfach nur hinunterzuschlucken braucht.

Auf der anderen Seite, jedoch, konnte ich letztendlich der Verführung nicht widerstehen, den Versuch zu machen ein Stückchen Text von Wittgenstein ein bisschen zu kommentieren, für jemanden, der sich nicht so lange wie ich mit seinen Schriften beschäftigt hat. Wie weit das von Erfolg gekrönt sein kann, ist eine andere Frage.

Die Einwände, die wir auszuräumen haben, sind mehr oder weniger wörtlich die folgenden:

"Bei den Antworten (zumindest in den zitierten Auszügen) schwindelt [Wittgenstein] sich ... um eine saubere Abhandlung herum. Er benennt Denkprozesse aus denen sprachliche Formulierungen entstehen als "Absicht" , "Sprechenwollen" oder "Vorstellung des Redens" und folgert aus der Tatsache, dass dies "Sprechen können" voraussetzt, dass diese Denkprozesse ausschließlich sprachbezogen sind ... sehr dürftig!

Ich möchte ... gar nicht bestreiten, dass alles Denken rund um das Verarbeiten und Erzeugen sprachlicher Inhalte (z.B. weil ich mich mitteilen oder mit einem Mitmenschen sprachlich austauschen will)  mehr oder weniger mit der jeweiligen Sprache in enger Verbindung steht.
Nur kann man doch aus dieser Verbindung nicht den Umkehrschluss ziehen und behaupten, dass alles Denken in enger Verbindung mit Sprache stehen muss - oder?
Ein ähnlich falscher Umkehrschluss wäre z.B. ... wenn ich keine sprachlichen Inhalten denke, denke ich nicht .. das wäre eine fundamentale Einschränkung des Begriffs Denken die - wie schon einmal gesagt - mit meinem Begriff Denken nicht viel zu tun hätte."

Unser nächster Beitrag wird also versuchen auf diese Einwendungen einzugehen, nicht so sehr, wie schon angedeutet, um in unserer Diskussion der ursprünglich aufgeworfenen Fragen weiterzukommen - obwohl das vielleicht auch dazu beitragen mag - sondern eher um ein besseres Verständnis des einen oder anderen Aspekts von Wittgensteins Philosophie zu schaffen. Man wird mir dabei vieles einfach glauben müssen, denn die Textstelle ist sehr kurz und begrenzt in dem, was sie für unser allgemeines Verständnis hergeben mag.


DE 0006 Sprache und Denken

# DE 0006

Die Frage war also: "Wie kann es sein, dass das Denken von der Sprache abhängt, wenn wir doch ständig erleben, dass wir eine unklare Idee von etwas haben können, für die wir die genaue sprachliche Formulierung erst suchen müssen. Ist das nicht ein klarer Beweis dafür, dass wir Gedanken ohne Sprache haben können, und dass vielmehr die Sprache von den Gedanken abhängt?"

Die kurze Antwort darauf ist, wie hoffentlich aus dem bis hierher gesagt relativ leicht einzusehen ist, dass die beiden Gedanken sich nicht widersprechen. Die Sprache ist Bedingung dafür, möchte man sagen, dass wir gewisse (noch nicht fertig formulierte) Ideen überhaupt haben können. Ohne die Institution der Geburtstagsfeier kann ich nicht in die Verlegenheit kommen, die richtigen Worte auf einer Geburtstagskarte suchen zu müssen. Es braucht eine ganze Reihe höchst komplizierter sozialer Einrichtungen, damit es Geburtstage und Geburtstagsfeiern geben kann - und in den allermeisten von ihnen spielt die Sprache eine vitale Rolle; nicht als Bedingung die vor der Möglichkeit existiert, aber als nicht wegdenkbarer Teil davon.

Ich kann nichts denken, von dem ich keinen Begriff habe (aber ich kann natürlich alte Begriffe zu neuen Begriffen z.B. kombinieren). Und die Begriffe, die wir haben, sind mit regelmäßigen menschlichen Tätigkeiten verknüpft, in denen die Sprache eine wesentliche Rolle spielt. Die Rolle, die die Sprache in diesen Tätigkeiten spielt, kann ganz verschieden sein; manchmal tritt sie nur als Beschreibung der Tätigkeit auf, manchmal ist sie selbst ein vitaler Teil davon, wie zum Beispiel bei einem Befehl. Aber irgendwie kommt die Sprache so gut wie immer dabei vor.

Es ist auf diese Weise, dass Handeln, Sprechen und Denken miteinander vital verknüpft sind. Dass wir manchmal um ein geeignetes Wort erst ringen müssen, steht bei genauerer Betrachtung in keinem Widerspruch zu dieser fundamentalen Verknüpfung; es ist vielmehr klar, dass es dieser fundamentalen Verknüpfung bedarf, damit ich überhaupt in die Lage kommen kann, nach geeigneten Worten suchen zu müssen. Und diese vitale Verknüpfung besteht für mich deshalb, weil ich ein Mensch bin, der in einer (Sprach- und Denk)-Gemeinde aufgewachsen ist. (Auf die Frage "wie weißt Du, dass das rot ist?" ist für Wittgenstein die natürlichste Antwort: "weil ich deutsch kann.")

Ich will mal annehmen, dass dies auf keinen Widerspruch stößt, aber natürlich sind damit noch nicht alle aufgeworfenen Fragen beantwortet. So bleibt zum Beispiel der Einwand:

"Aber Denken ist doch eine psychologische Tätigkeit, eben dieser geheimnisvolle Vorgang, der mich die richtigen Worte finden lässt. Darauf gibt doch das Geschwafel da oben keine Antwort!"

Mal sehen, was mir dazu einfällt.


Tuesday, May 10, 2016

DE 0005 Sprache und Denken

# DE 0005

Es ist vom Prinzip her ziemlich einfach ein philosophisches Problem zu lösen: Man braucht nur zu zeigen, dass es kein Problem ist. In der Praxis ist es dann freilich meistens sehr schwierig, das erfolgreich umzusetzen. Ich will mein Glück zunächst mit dem zuletzt aufgezeigten Problem versuchen: Wie kann das Denken von der Sprache abhängig sein, wenn wir ohne Zugriff auf sprachliche Mittel den richtigen sprachlichen Ausdruck für einen noch nicht sprachlich ausgedrückten Gedanken finden können?

Ich denke, wir können in diesem Fall, wie so oft, das Problem zum Verschwinden bringen, indem wir genauer zusehen, womit wir es hier wirklich zu tun haben, und uns nicht von sprachlichen Analogien verführen lassen, die die wahren Verhältnisse verschleiern oder verzerren.

Wie wir den richtigen Ausdruck, die richtige Harmonie, den nächsten Schritt im Beweis finden, ist nichts, was wir bewusst oder in der Sprache nachvollziehen können. Es ist ein tiefes Geheimnis, wie wir das machen. Dieser geheimnisvolle Vorgang soll nun sein, was das Wort 'denken' eigentlich bezeichnet.

Wittgenstein behandelt unsere Frage ziemlich wörtlich in § 335 und den folgenden in Philosophische Untersuchungen. Ich werde mir nun erlauben ihn zu zitieren, auch wenn das Zitat, so aus dem Zusammenhang gerissen, wahrscheinlich nicht ganz leicht zu verstehen ist:

335. Was geschieht, wenn wir uns bemühen - etwa beim Schreiben eines Briefes - den richtigen Ausdruck für unsere Gedanken zu finden? - Diese Redeweise vergleicht den Vorgang dem einer Übersetzung, oder Beschreibung: Die Gedanken sind da (etwa schon vorher), und wir suchen nur noch nach ihrem Ausdruck. Dieses Bild trifft für verschiedene Fälle mehr oder weniger zu. - Aber was kann hier nicht alles geschehen? - Ich gebe mich einer Stimmung hin, und der Ausdruck kommt. Oder: es schwebt mir ein Bild vor, das ich zu beschreiben trachte. Oder: es fiel mir ein englischer Ausdruck ein, und ich will mich auf den entsprechenden deutschen besinnen. Oder: ich mache eine Gebärde, und frage mich: "Welches sind die Worte, die dieser Gebärde entsprechen?" Etc.

Wenn man nun fragte "Hast du den Gedanken, ehe du den Ausdruck hattest?" - was müsste man da antworten? Und was auf die Frage: "Worin bestand der Gedanke, wie er vor dem Ausdruck vorhanden war?"

[...]

337. Aber habe ich nicht die Gesamtform des Satzes, z.B., schon an seinem Anfang beabsichtigt? Also war er mir doch schon im Geiste, ehe er noch ausgesprochen war! - Wenn er mir im Geiste war, dann, im allgemeinen, nicht mit anderer Wortstellung. Aber wir machen uns hier wieder ein irreführendes Bild vom 'Beabsichtigen'; d.h., vom Gebrauch dieses Worts. Die Absicht ist eingebettet in der Situation, den menschlichen Gepflogenheiten und Institutionen. Gäbe es nicht die Technik des Schachspiels, so könnte ich nicht beabsichtigen, eine Schachpartie zu spielen. Soweit ich die Satzform im voraus beabsichtigte, ist dies dadurch ermöglicht, dass ich deutsch sprechen kann.

338. Man kann doch nur etwas sagen, wenn man sprechen gelernt hat. Wer also etwas sagen will, muss dazu auch gelernt haben, eine Sprache zu beherrschen; und doch ist klar, dass er beim Sprechenwollen nicht sprechen musste. Wie er auch beim Tanzenwollen nicht tanzt.

Und wenn man darüber nachdenkt, so greift der Geist nach der Vorstellung des Tanzens, Redens, etc.

339. Denken ist kein unkörperlicher Vorgang, der dem Reden Leben und Sinn leiht, und den man vom Reden ablösen könnte, gleichsam wie der Böse den Schatten Schlemihls vom Boden abnimmt. - Aber wie: "kein unkörperlicher Vorgang"? Kenne ich also unkörperliche Vorgänge, das Denken aber ist nicht einer von ihnen? Nein; das Wort "unkörperlicher Vorgang" nahm ich mir zu Hilfe, in meiner Verlegenheit, da ich die Bedeutung des Wortes "denken" auf primitive Weise erklären wollte.

Man könnte aber sagen "Denken ist ein unkörperlicher Vorgang", wenn man dadurch die Grammatik des Wortes "denken" von der des Wortes "essen" z.B., unterscheiden will. Nur erscheint der Unterschied der Bedeutung zu gering. (Ähnlich ist es, wenn man sagt: die Zahlzeichen seien wirkliche, die Zahlen nicht-wirkliche Gegenstände.) Eine unpassende Ausdrucksweise ist ein sicheres Mittel, in einer Verwirrung stecken zu bleiben. Sie verriegelt gleichsam den Ausweg aus ihr.

340. Wie ein Wort funktioniert, kann man nicht erraten. Man muss seine Anwendung ansehen und daraus lernen.

Die Schwierigkeit aber ist, das Vorurteil zu beseitigen, das diesem Lernen entgegensteht. Es ist kein dummes Vorurteil.

Und noch ein kurzes das hierher passt:

383. Wir analysieren nicht ein Phänomen (z. B. das Denken), sondern einen Begriff (z.B. des Denkens) und also die Anwendung eines Worts. So kann es scheinen, als wäre, was wir treiben, Nominalismus. Nominalisten machen den Fehler, dass sie alle Wörter als Namen deuten, also ihre Verwendung nicht wirklich beschreiben, sondern sozusagen nur eine papierene Anweisung auf so eine Beschreibung geben.

384. Den Begriff  'Schmerz' hast du mit der Sprache gelernt.

[Die Rechtsschreibung in den Zitaten ist an die moderne Rechtschreibung angepasst.]

Diese Zitate, und überhaupt das Argument in dem heutigen Beitrag, nehmen eine Hypothek auf die Antwort, die ich zum ersten Problem zu geben verspreche, um das zweite Problem aufzulösen, wenn man vielleicht auch schon ahnt, wie die Behandlung des ersten Problems aussehen wird. Das heißt, man muss mir hier glauben, dass unsere Fähigkeit zu denken wesentlich zusammenhängt mit unserer Fähigkeit zu sprechen; jedenfalls konzentriere ich mich hier auf das andere Problem: "Denken ist ein geheimnisvoller Vorgang". Ich denke die obigen Zitate haben weitgehend die Bühne vorbereitet dafür, was als nächstes kommen muss - ich muss nur noch die Fäden zusammenführen; oder jedenfalls hoffe ich das.

Monday, May 9, 2016

DE 0004 Sprache und Denken

DE 0004

Ich will mich nicht dazu äußern, ob das Bild, das ich in meinem letzten Beitrag versucht habe zu zeichnen, richtig oder falsch ist. Bei so einem Bild kommt es mehr darauf an, was man damit macht. Und wenn man mit seiner Hilfe versucht den Zusammenhang von Sprache und Denken zu verstehen, ist die Frage, die wir beantworten müssen, ob dieses Bild dabei hilfreich ist.

Ein erstes Problem, will mir scheinen, besteht darin, dass das Bild den Eindruck nahe legt, dass das, was das Zeitwort 'denken' bezeichnet, eine bestimmte Tätigkeit ist, so ähnlich wie 'laufen' oder 'eine Weinflasche entkorken'. Es ist freilich so, dass wir die Fähigkeit zu laufen mit den Tieren teilen, und die Fähigkeit eine Weinflasche zu entkorken kann man mit Sicherheit zur Not einem Bonobo beibringen. Warum sollte es beim Denken anders sein? - ich meine, anders zum Beispiel, als mit dem Laufen.

Es liegt nahe den Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit damit zu erklären, dass die Sprache sich aus Zeichen zusammensetzt, die für Dinge in der Wirklichkeit stehen. 'Weinflasche' steht für eine Weinflasche, und 'entkorken' für die Tätigkeit den Korken aus der Weinflasche zu ziehen. Dann steht eben 'denken' auch für eine bestimmte, mehr oder weniger fest umrissene Tätigkeit, die allerdings nicht sichtbar ist, sondern vielleicht im Kopf der jeweils denkenden Person abläuft. Wenn das so ist, dann kann man sie vielleicht sogar indirekt sichtbar machen, so ähnlich wie wir die subatomaren Teilchen aufgrund ihrer Dampfspuren im Teilchenbeschleuniger indirekt sichtbar machen: durch messbare elektromagnetische Ströme im Zentralnervensystem.

Den ersten Teil dieses Bildes finden wir übrigens z.B. im Tractatus als sogenannte Bildertheorie der Sprache, nach der die Elementarsätze logische Abbilder der Beziehung zwischen den in den Sachverhalten logisch verknüpften Gegenständen sind - wenn man davon absieht, dass Weinflaschen und Korken keine Gegenstände im Sinne des Tractatus sind, zumal sie nicht einfach in seinem Sinn sind. Und natürlich zitiert Wittgenstein in Philosophische Untersuchungen gleich am Anfang den heiligen Augustinus mit einer ähnlichen Sprachtheorie. Mit dem zweiten Teil könnten sich wenigstens ungefähr manche Proponenten der Philosophie des Geistes identifizieren.

Bevor ich nun hier fortsetze, muss ich das im letzten Beitrag gezeichnete Bild ergänzen. Was die Ablehnung der Idee, dass das Denken wesentlich auf der menschlichen Sprache beruht, auch noch motiviert, ist zusätzlich die Beobachtung, dass das Denken ein psychologischer Vorgang ist, der sprachlos ablaufen muss, da sonst nicht zu erklären wäre, dass wir manchmal wissen, was wir sagen wollen, aber den richtigen sprachlichen Ausdruck dafür nicht finden. Da ich mit minderer oder größerer Frequenz an Migräne leide, kann ich ein Lied davon singen, das über die Erfahrung kämpfender Aufsatzschreiber hinausgeht: ich weiß dann häufig ganz genau, was ich sagen will, aber das Nervensystem, das den Wunsch mit seiner Ausführung verbinden sollte, ist dann manchmal lahmgelegt. Ich kann dann nicht einmal sagen, dass ich wegen meiner Migräne nicht sprechen kann, so sehr ich gelegentlich ziemlich verzweifelt versucht habe, genau das zu tun  (was mir erspart in eine Art von Lügnerparadox zu verfallen). Es geht aber bei dem Einwand in Wahrheit nicht um eine quasi mechanische Verhinderung, sondern um das Erfassen eines schöpferischen Aktes, in dem wir z. B. die richtigen Worte für ein Gedicht suchen oder eine Harmonie für eine Komposition; oder den Beweis einer mathematischen Theorie: keiner dieser schöpferischen Vorgänge läuft nach einer Formel ab. Wie immer der Zusammenhang zwischen Denken und Sprache sein mag, wir können nicht, z.B. durch Selbstbeobachtung entdecken, wie wir das richtige Wort, die richtige Harmonie, oder den mathematischen Beweis finden.

Im Moment ist das Problem, dem wir uns zu stellen haben, größer geworden. Ich hoffe wir können es in den nächsten paar Beiträgen nach und nach zum Verschwinden bringen.

DE 0003 Sprache und Denken

DE 0003

Sprache und Denken

Ich hatte vor kurzem eine unglückliche Diskussion über den Zusammenhang von Sprache und Denken, genauer, über die Frage, ob und inwiefern das Denken vom Sprechen abhängt. Unglücklich deshalb, weil es mir in der Diskussion nicht gelungen ist, die Sorge meines Gesprächspartners zu identifizieren, die ihn veranlasst den Standpunkt als absurd abzutun, dass das Denken von der Sprache abhänge.

Ich werde also zunächst einmal versuchen zu erraten, aus dem was ich von der Diskussion erinnere und ansonsten mit Hilfe von Spekulationen, was meinen lieben Kontrahenten zu diesem Standpunkt führt.

Wenn ich den Standpunkt richtig verstehe, dann geht es im wesentlichen darum, dass die Sprache als im evolutiven Sinn späte Erwerbung der Art Mensch gesehen wird, die uns in ihrer Sophistikation von anderen Tierarten unterscheidet, während wir viele andere Charakteristika besonders mit uns evolutiv nahe stehenden Tierarten teilen, namentlich mit den Säugetieren. Eine dieser Charakteristika ist die Kapazität in einer Weise zu denken, die eben nicht von der Sprache abhängt; zum Beispiel, dass man (wenn man ein Hund ist) gegen einen oder zwei kleinere Hunde zum Angriff übergehen kann, dass man aber gegen ein Rudel von Hunden die Flucht ergreift [dieses Beispiel kopiere ich ungefähr von Michael Dummett's Origins of Analytical Philosophy, Harvard University Press; Cambridge, Mass.; 1996].

Gegenüber dieser grundsätzlichen Kapazität erscheint die sprachliche Kommunikation im menschlichen Sinn als etwas oberflächliches, als rein kulturelles Gut, das dem grundsätzlichen, instinktiven und auch reflexiven Verhalten, das wir mit anderen Säugetieren teilen, aufgepfropft ist, und keinen substantiellen evolutiven Unterschied macht.

In diesem Sinn ist das menschliche Handeln sehr viel mehr durch "primitive" Instinkte geprägt und das kulturelle Verhalten, zu dem auch die Sprache gehört, sitzt an der Oberfläche und wird leicht abgeschüttelt, wie man ja (manchmal zu unserem Entsetzen) in Extremsituationen oft beobachten muss.

Ich bin ein sehr einseitig gebildeter philosophischer Arbeiter und kann keinen bekannten Denker mit einer solchen Position identifizieren; es wäre aber erstaunlich, wenn es keinen gäbe. Wie immer es sich damit verhalten mag, ich will im nächsten Beitrag versuchen mich mit dieser Position auseinanderzusetzen. Mit etwas Glück, hören wir inzwischen ob ich die Position meines Gesprächspartners einigermaßen treffend wiedergegeben habe.


Friday, October 9, 2015

DE 0002

Ludwig Wittgenstein hat Gottlob Frege sein Leben lang als profunden Denker und auch als Mensch geschätzt. Vgl. Erich Recks Aufsatz »Wittgenstein’s „great debt“ to Frege« in From Frege to Wittgenstein: Perspectives of Early Analytic Philosophy, Erich H. Reck, ed.; Oxford University Press; New York; 2002 oder auch Cora Diamonds Beitrag „Inheriting from Frege: the work of reception, as Wittgenstein did it“ zu The Cambridge Companion de Frege, Michael Potter and Tom Ricketts, ed.; Cambridge University Press; Cambridge;  2010, in dem sie eine Parallele sieht zwischen der Art, in der Frege den genialen Philosophen Immanuel Kant kritisch diskutiert, und Wittgensteins kritische Behandlung Freges im Tractatus, der zu einem viel größeren Teil direkt von den Diskussionen mit Frege inspiriert ist, als gemeinhin angenommen wird, wenn man den Tractatus im Wesentlichen als Weiterentwicklung des Logizismus von Russell und als Verwerfung der Thesen Freges sehen will. Wittgenstein, ganz anders ans Baker & Hacker, zum Beispiel (Logical Excavations), die in Frege einen halben Mathematiker und einen halben Philosophen sehen, also niemanden, den man wirklich ernst nehmen muss, und im Unterschied zu den Zeitgenossen Freges, die seine Revolution der Logik kaum wahrgenommen haben, hat Wittgenstein die philosophische Tiefe des Logikers aus Wismar zum Kompass seiner eigenen philosophischen Suche gemacht.

Schon Hans Sluga hat darauf hingewiesen („Truth before Tarski“ in Alfred Tarski and the Vienna Circle, J. Wolenski & E. Köhler, eds.; Kluver; Dordrecht; 1999),  dass wir den Fortschritt in unserer formalen Beherrschung der Wahrheit damit erkauft haben, dass „uns einige der tiefsten Einsichten in Bezug auf das philosophische Problem der Wahrheit entschlüpft sind.“ (zitiert nach Cora Diamond: „Truth before Tarski“ in Erich Reck ed., op.cit.); in etwa die selbe Richtung zielen auch Arbeiten von van Heijenoort, Hintikka, Ricketts, Goldfarb, Conant, Haaparante, Weiner, u.v.a.m. 

Meine nächsten Beiträge werden wohl zunächst in der Hauptsache Berichte sein über die Sichtweise, die diese und andere Autoren über die Rezeption Freges durch Wittgenstein und inwieweit eine Revision dieses Aspekts der Geschichte der (analytischen) Philosophie auch eine neue Diskussion des Tractatus selber notwendig macht. Im Zuge dieser Betrachtung werden wir sicher auch über Conants Unterscheidung zwischen „standard“ oder „orthodoxen“ einerseits und „resoluten“ Wittgensteinlesern andererseits nachdenken.


Ich denke, damit haben wir zunächst ein recht dichtes Programm.